Seit ich selten in der Stadt bin, laufe ich wohl mitunter mit weit aufgerissenen Augen und herunterhängender Kinnlade in denselben herum. Was einen sehr schönen Effekt hat: Der Ausdruck dümmlicher Überforderung und unverholenen Staunens rührt die Menschen. Alle sind nett zu mir: Taxifahrer, Kellner, Portiers, Busfahrer und VerkäuferInnen. Überall. In Sevilla, in Malaga, in London, in Berlin, in Glasgow, in München. Alle erklären mir den Weg, verraten mir, wo es den besten Schnittlauch gibt, den nächsten Geldautomaten, wie die so sind beim Kreuzberger Finanzamt, wo man einen Hammer kaufen kann und so. Neulich bin ich im Bus neben einer älteren Dame gesessen, als wir den Heinrich-Heine-Platz passierten. Ob ich den kenne (den Dichter), wollte sie wissen, ich möge den sogar verriet ich, und dann deklamerte sie für mich mit lauter fester Stimme:
Denk ich an Deutschland in der Nacht,
Dann bin ich um den Schlaf gebracht,
Ich kann nicht mehr die Augen schließen,
Und meine heißen Tränen fließen.
Das blieb dann glücklicherweise aus.
Aber ich wollte ja von München erzählen. Meine Reisen dorthin erfüllen mich immer mit tiefer Zuneigung zu meinen drei sehr verschiedenen alten Freundinnen dort (die sich nur flüchtig kennen). Die K. hatte ich ja mit zwei Nächte gemeinsam in Altkleidern wühlen, schlimme Kalauer machen und auf dem Sofa im Wohnzimmer schlafen abgearbeitet. Des Abends zur zweiten: Der mondänsten und glamourösesten meiner Damenbekanntschaften. Sehr bestimmt, sehr streng, beruflich sehr erfolgreich und wenn sie einen liebt ist alles gut (wenn nicht, sollte man sich in acht nehmen). Sie habe mich in einem kleinen Gasthaus untergebracht, teilte sie mir mir, Stornierung sei nicht möglich, ihr koreanische Mitbewohner könne Übernachtungsbesuch nicht ausstehen.
Ich reiste an, checkte ein, motzte mich auf und wir trafen uns in der Hotelbar. Und wechselten hierher zum Essen. Endlich mal was Ordentliches. Der Glasnudelsalat war wundervoll. Und der Loup de Mer sehr gut.
Die Lady trinkt gerade nicht. Was mich ja nicht abhält. Am Ende dieses wunderschönen zugewandten anregenden Abends war ich außerordentlich betrunken. Also sehr. Grossartig. Fiel ich elend spät in mein Gasthausbett, schlummerte wie ein Stein und erwachte wie üblich früh am morgen (Landei), aber wie nach derlei Ausschweifungen eher nicht üblich, frisch wie ein Frühlingstag. Es gab noch ein gemeinsames Frühstück mit stärkenden Eierspeisen und ich besichtigte kurz die neue Wohnung, eine Wahnsinnswohnung, drei Balkone, altes Eichenparkett, ein ausgestopfter Pfau oben auf dem Regal und eine Million schöne grosse teure Bücher. Allerdings nur bei ihr. Der Koreaner, Professor für Gestaltung, schläft in einer weissen Mönchszelle. Bett und Stuhl.
Dann eilig zur dritten, der D., die mittlerweile ihren ersten SM-Bestseller auf die Beine gestellt hat (als Verlagsleiterin). Auch hier gab es viel zu besprechen, dafür eignete sich der Spaziergang zum Nymphenburger Schloss und im anhängenden Park.
Ein sehr schöner Park. Voller eingeborener Ornithologen. Dufter Trick, wenn man sich mal nicht ausreichend beachtet fühlt: Man hänge sich ein Fernglas um, betrete einen Park, verharre unvermittelt reglos und blicke nach oben. Alle bleiben stehen und fragen. In diesem Fall auch wir und wie wir erfuhren wegen der seltenen Seidenschwänze. Viel erkennen konnte man ohne Fernglas leider nicht. Aber deshalb waren wir ja auch nicht da. Daheim gab es Kaffee und selbstgebackenen Kuchen, nicht zielführende Debatten über die nächste gemeinsame Reise des Damenkränzchens (ojeh). Selbstgemachte Pasta. Und dann den Bodenseetatort, dessen angeblich bessere Sequenzen ich selig an D.s Schulter verschlief.
Und zwischendurch bekam ich noch eine Einladung nach Reykjavik, von einem isländischen Lichtkünstler mit Atelier in einem alten Kraftwerk, für Juni. Ich habe es wirklich gut.