Fast wie ein Zauberberg #05

DSC_00013

In der Sauna. Auf einmal konnte sie nicht aufstehen. Kribbeln und Stechen überall am Körper, dann alles taub. So ein schönes junges Mädchen. Gerade Abitur. Bald sammlen sich diese Geschichten, in die Geschlossene, Sie simulieren doch, da ist nix an Ihren Bandscheiben, die Rosafarbene weint, laufen konnte sie da schon Monate nicht mehr. Von einem Augenarzt zum anderen, alles doppelt, dann fast nichts mehr sehen, keine Ahnung was der Grund ist. Leidenswege. Da bin ich mit meinem kurzen Hörsturz- und Tumorumweg eine Ausnahme. Vergleichsweise rasante Diagnose. Und nur ein, zwei Arschlochärzte.

Die Männer sprechen nicht über die Krankheit. Oder nur in Gruppentherapie, das weiss ich nicht, ich bin doch nicht verrückt, sag ich zur serbischen Neurologin, und quatsche mit Wildfremden über meine Sorgen. Sicherheitshalber starre ich sie böse an dabei. Natürlich. Natürlich nicht. Die, die sich nicht wehren können, haben hier verloren, ich finde die Rosafarbene schluchzend im Treppenhaus, zur Gruppentherapie, sie will nicht, sie muss, das hat der Arzt gesagt. Sie kann nicht, sie weint, dieses Problem können wir lösen, die anderen nicht. Seit der Diagnose sei er nicht geschwommen sagt der Trompeter, nicht, dass er es nicht mehr könne, er traue sich nicht mehr. Nicht fahrraradfahren, nicht spazieren, nicht lieben, lachen, leben, lieber frühverrentet, ob ich auch so einen Ausweis hätte, die Steuer und so weiter. Mich macht das fassungslos, ich rase weiter um die Seen, wate jeden Morgen rein, mittags bei 35 Grad liege ich auf meinem Bett und lausche den Taubheiten in meinen Händen. Und dem Hinken im linken Bein. Und abends bin ich am Bootshaus bis die Sonne untergeht, leider nicht über dem See. Aber hinter mir, immerhin.

DSC_00152

Einmal bin ich eingeladen, ein Bekannter aus Berlin, er stammt von hier, die ganze Familie musikalisch, ein Konzert vom Kirchenchor. Schöner Gesang und schöne Kirche. Danach ein Grillen vor dem Pfarrhaus, Scheiss Wessis findet einer, ich kaue auf den Lippen, auf der Bockwurst, bis mir der Kragen platzt, wie oft ich diese Leier jetzt gehört hab, ich kann nix dafür, fauch ich, und meine Freunde auch nicht. Und dass es mir leid tut. Wegen Betrug und Abwicklung, wegen der Geier und der Zocker. Aber das war ich nicht. Oder seid Ihr etwa alle Nazis? Der Bariton verschluckt sich, würgt bleich an seinem Schnitzel, zu guter Letzt bekommen wir die Kurve und trinken Brüderschaft mit kaltem Lübzer. Auf einmal hagelt es, Dinger wie Kanonenkugeln, es ist vorbei, als alles drinnen ist, wir wieder raus, ans Feuer und trinken auf den Mauerfall. Ist ja nicht alles schlecht. Kraniche fliegen über unsre Köpfe. Irgendwo bellt ein Hund. Einer fährt mich dann nach hause in die Anstalt. Morgens: Wasserballett. Ich bin die jüngste.

Die anderen Folgen gibt es hier.

7 Gedanken zu „Fast wie ein Zauberberg #05

  1. rosmarin (Gast)

    der link führt wieder zum text zurück.
    hm?
    aber schöner text…. und offenbar sind Sie wieder ok….?

    Antworten
  2. kid37

    Ich glaube, deshalb muß man vorsichtig sein mit solchen Gruppen. So hilfreich das einerseits ist, so sehr trifft man ebenso auf die selbe stammtischnahe Mischung, die man sonst im Leben meidet. Hysterie, Defätismus, Wut, Negativität. Und wenigstens ein Welterklärer. Aber man ist ja auch erstmal hilflos.

    Antworten
  3. montez

    Also Gruppensachen habe ich von Anfang an nicht gemacht, nur Einzelkram. Und das hat mir sehr gut getan. Das ist sicher eine Typfrage. Muss wohl jede für sich entscheiden. Ich mag meine Gesprächspartner lieber selbst aussuchen.

    Antworten

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert