Wir arbeiten schon ewig zusammen, beileibe nicht reibungsfrei, letztes Jahr habe ich am Telefon brüllend nach Abstand verlangt. Aber irgendwie biegen wir es doch immer wieder hin. Sie ist ein Haudegen, harsch wird sie genannt, ist sie. Und nun am Telefon, ich merke, wie dünnhäutig sie ist und sage, Mensch, mach mal eine Pause, und sie: es ist nicht die Arbeit, es ist die Welt, die mir gerade so zusetzt und fängt an zu weinen. Ich bin immer noch, ja was denn? Berührt. Geschockt. Verblüfft.
Wir machen gerade eine Konferenz zur Verbesserung der Arbeitsbdingungen in Drittweltländern und eine zur Hungerbekämpfung, und natürlich geht es da um Aktuelles. Ebola, IS, Völkermord, Krieg, Vertreibung. Wenigstens, sagt sie, habe ich das Gefühl, ein bisschen was zu tun. Leider habe ich dieses Gefühl an dieser Stelle schon lange nicht mehr. Besser aber, natürlich, als Lippenstiftwerbung. Mein Rückzug ins Kleine. Im Kleinen ist es auch nicht so kuschlig grad. Es wird jung gestorben. Zurückbleibende verzweifeln und es gibt wenig Trost.
Das perfekte Leben dachte ich, damals war ich manchmal neidisch (bin ich heute eigentlich nie mehr). Schlau, lustig, schön, lebendig und voller Tatendrang. Und dann dieser nette Mann dazu. Tolle Arbeit. Tolle Wohnung. Nicht lange und ich hörte von der Schwangerschaft. Ins Grüne ziehn. Alles eben, weichgezeichnet wie bei der Rama. Ein zweites Kind, vor drei Monaten, perfekt. Letztes Woche hat sie sich vor einen Zug geworfen.
Und meine kleine Freundin. Ich vermisse Dich. Immer weiter.
Und mir wird etwas einfallen. Dazu. Bin nämlich wieder bei Kräften. Erstmal habe ich wieder ein paar Mails geschrieben.
Es hilft der Weltlage garnix, aber den Kindern hier vielleicht ein bissl.
Ich habe in den letzten zwei Wochen 8 (acht!) Telefonate geführt, um einen Kontakt zum Flüchtlingsfreundeskreis zu bekommen. Bei den Kirchen: kein Erfolg, kennen wir nicht, schrecklich vor allem die müde Stimme am Telefon, auch keinerlei Interesse, zu helfen, wie ich das rauskriegen kann. Ich Naivling denke doch immer noch, die Kirchen seien irgendwie dazu da, sich hier zu kümmern. Aber mit den sündigen Wiederverheiratet Geschiedenen kann man sich beschäftigen.
Bei der Schule (im Schulgottesdienst wurde immerhin gesammelt): keine Ahnung. Punkt.
Bei der Stadt war es dann die fünfte Weiterverbindungsdame – im Sozialamt – die damit zwar nix zu tun hatte, die aber dennoch so lange selbst telefoniert hat, bis ich eine Nummer bekam.
Und: sie brauchen jemanden. Hausaufgabenbetreuung für die syrischen Kinder, ob ich gleich morgen kommen könne. Ich war da letzten Mittwoch. Die Kinder sprechen noch kein Wort Deutsch (klar), hatten kein Stück Papier, keinen Stift. Ich Esel hatte nix dabei. Ich hab mir halt ein Zahlenspiel ausgedacht, das man mit den Fingern spielen kann und irgendwie auf deutsch bis zehn zählen lernt. Eigentlich blöd, aber ich bin ja keine Pädagogin.
ABER: es war lustig, es wurde so viel gelacht, sie haben über sich selbst gelacht, übereinander, über meine blöden wortlosen Scherze, selbst ich habe mich irgendwann entspannt, obwohl ich wusste, dass manche dieser Kinder auf einem dieser Boote waren. Bitte das klingt süßlich kitschig, aber stellen sie sich diese Kinder einfach echt vor. Die sind jetzt gerade hier…
Es schnürt mir den Hals zu, mit welcher Zähigkeit sie sich ein Leben suchen, das gelebt werden kann.
Und jetzt versuche ich seit letztem Mittwoch die Lehrerin zu erreichen, die die neu eingerichtete Flüchtlingsklasse hat. Damit ich am Mittwoch was Sinnvolles machen kann. Bislang vergeblich.
Die Toni
Ich hoffe (aber glaube noch nicht recht daran), dass das hier ein wenig flüssiger geht. Ich glaube auch: Sie brauchen jemanden. Ich werde das rausfinden.
Ihr spontan ausgedachtes Zahlenspiel war gar nicht blöd, sondern richtig gut. Sie haben dabei gelacht und Spaß gehabt. Es würde mich nicht wundern, wenn sie das wieder spielen wollen.
Ja. Das ist wahr. Und toll.
Es ist zum Heulen und zum Verzweifeln. Alles. Man muß sich am Kleinen festhalten und da irgendetwas tun. Ich weiß aber derzeit auch nicht mehr genau, ob das noch etwas hilft.
„Damit ich am Mittwoch was Sinnvolles machen kann.“
Was Sie gemacht haben, war sehr, sehr sinnvoll!! Lassen Sie es sich nicht ausreden, die Kinder zum Lachen zu bringen, etwas Sinnvolleres können Sie gar nicht tun!
sowas ähnliches hier aufzuziehen, ein digitales Netzwerk – vielleicht auch anderswo nachahmenswert?
http://hdsagtja.de/sie-wollen-helfen-2/