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Trautheim

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Ist schon eine Weile her, dass ich in der Süddeutschen diesen Artikel über die Toskanisierung Bayerns las, und damit meinem Unbehagen über die mich umgebenden Neubaugebiete einen Namen geben konnte. Hier das Gleiche, in meiner Kindheit der Renner: Alpine Landhäuser mit Dallaseinfluss, trutzig hölzerne Balkongeländer und weiße Gartenlampen, großzügig über riesige Rasenflächen verteilt. Jetzt das Toskanahaus, terracottafarben, in Schwammtechnik getüncht die Fassade, im Garten die Venus von Milo und mehr Skulpturales aus dem Baumarkt. Nur im besten Falle nüchterner Minimalismus angereichert mit Fransensonnenschirm, Loungemöbeln und flouriszierenden Scheiben im Vorgarten.

Das wär’ mir ja egal. Wenn nicht die alten Häuser nach und nach weichen müssten, oder bis zur Unkenntlichkeit renoviert würden. Weg mit den Fensterläden, den schiefen Mauern, dem bröckelnden Putz. Ach, am besten ganz weg, wenn es nicht gerade Fachwerk ist. Das darf bleiben. Ist schließlich historisch.

Wie es der Zufall will, mache ich gerade ein Magazin, in dem es um den Mythos Dorf geht, besungen und weichgezeichnet in Zeitschriften wie Landlust, Landidee usw. Und unsere Gemeinde stellt am Sonntag feierlich ein Buch mit historischen Bilddokumenten (oh, schau mal, unser Haus …) zur Demonstration der großartigen Entwicklung unseres schönen Dorfes vor. Die Entwicklung zum Grauen. Scheint nur mir so zu gehen. Ich werde nicht müde, mich zu fragen warum die Abscheu gegen alles, dem man seine Vergangenheit ansieht hier kaum weniger geworden ist. Dass man nach dem Krieg die Erinnerungen an Zeiten loswerden wollte, mit denen man lieber nicht in Zusammenhang gebracht werden wollte, meinetwegen. Aber die jungen Leute? Neu, modern, toskanisch. Weg mit dem alten Schamott.

Als Kind habe ich geheult, wenn es wieder eines der schiefen alten Bauernhäuser erwischt hat, inzwischen bin ich nur noch kurz davor. Zu allem Unglück wurde ich dann noch eine Restauratorin, die ehrfürchtig vor jeder schäbigen, liederlich verputzten Wand steht, die aus dem Mittelalter stammt, aber wirklich sehr schmuddelig aussieht. Aber ein Glück, hier bei uns findet sich immer ein munterer Handwerker, der das geschwind neu in Ordnung bringt.

Nicht nur, dass ich (ja, doch auch) Tränen vergieße über Verlust von Gewohntem, ich werfe mich dem auch dergestalt entgegen, dass ich kein Abbruchhaus verlasse ohne allerhand Brauchbares. Zuletzt so geschehen im Trautheim, einer zauberhaften schlichten Villa aus den 20er Jahren, die, als ich die Schrecklichkeit bemerkte, schon ihrer (tadellosen) Sprossenfenster, Zimmertüren mit alten Beschlägen, Klinken und Möbel beraubt worden war. Lag alles im Garten auf einem großen Haufen. Ich natürlich gleich rein und fündig: Ein kleiner roter Holzstuhl, perfekt für das Patenkind, ein stabiler Hocker, auf dem ich morgens hocke, wenn ich das Küchenfeuer entfache und am schönsten die Haustür. Eine wunderbare solide alte Haustür mit Briefschlitz und schnörkeligem Gitter vor dem kleinen Fensterchen. Was mit der Tür sei, will ich wissen, kannst Du mitnehmen, höre ich von den Bauarbeitern. Sehr gut. Heim, Lieblingsnachbar mit VW-Bus kann erst morgen, nicht so schlimm, ist ja Sonntag. Am Sonntag hatte jemand zwar die Tür da gelassen, aber das Gitterchen so gewaltsam rausgerissen, dass sie unbrauchbar war. Aber so schnell gebe ich mich nicht geschlagen.

Im Keller liegen sind die Regale umgeworfen, Eingemachtes der letzten Dekaden bedeckt großflächig den Estrich, dennoch trag‘ ich mindestens 30 riesige Einmachgläser (leer) zum Bus (wofür?). Zwei alte Werkstattlampen und ein kleines Kuhschild aus Email, Kremdosen, in denen der Hausherr seine Schrauben aufbewahrt hat (werde ich auch tun). Und bin nachhaltig bedrückt, was mit den Dingen passiert, die jemand einst mit Sorgfalt hergestellt, sortiert und gepflegt hat. Der traurigste Anblick: Die ehemals prächtigen Oleanderbüsche, die in diesem Jahr nicht aus ihrem Winterlager befreit wurden. Vertrocknet. Der Rest dieser Existenz auf einem Haufen im Garten.

Demnächst hier: zwei riesige Mehrfamilienhäuser mit Tiefgarage.

Waldhauserin

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Das nicht sehr kleine alte Haus, in dem ich mit der Greisin lebe, ist 1937 für eine einzelne Person gebaut worden: Die Frau, die man im Dorf die Waldhauserin nannte, Elisabeth von Walthausen, der Legende nach Hamburger Innenarchitektin.

Eine Ehe, von der sich beide Beteiligten versprachen, zu Geld zu kommen, hat sie wohl nach Süddeutschland verschlagen: Das Arrangement hatte sich rasch erledigt (er sei ein ein Fabrikant gewesen, leider pleite, wie sich bald rausstellte) und mit den letzten Kröten, die ihr nach der Währungsreform 1923 von einem einstmals grossen Vermögen geblieben waren, kaufte sie den Lehenhof, ein großes Gut nicht weit von hier, heute fest in Antroposophischer Hand. Das brannte ab, und für den Erlös der Ruinen schwatze sie unserem nachbarlichen Bauern ein Stück Unland ab, auf dem sie dieses Haus baute. Und legte einen englischen Garten drumherum an, mit Grotte, Mammutbäumen und vielen kleinen lauschigen Plätzchen, an denen man den Fünfuhrtee nehmen kann konnte.

Es gibt auch noch eine schöne Widerstandslegende, die wohl tatsächlich der Wahrheit entspricht: Der Pfarrer des Nachbardorfes hatte zum Kriegsende den Franzosen die Panzersperren geöffnet, die sich aber leider noch einmal zurückzogen. Woraufhin die Nazis den Pfaffen suchten und nicht fanden: Die Waldhauserin hatte ihren alten Freund bei sich versteckt. Ich finde ja die Vorstellung viel schöner, die beiden hatten eine leidenschaftliche Affäre, als die Nummer mit dem spirituellen Seelverwandtschaftsding.
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Nach dem Krieg war das Geld engültig alle, sie hatte aber ein paar gute Ideen: Eine Beeren- und eine Deutsche Doggenzucht, beides ausserordentlich einträglich. Sie arbeitete den ganzen Tag im Garten und einmal in der Woche ging sie auf den Markt, um die Früchte dort mehr schlecht als recht zu verkaufen. Als sie eines Tages nicht erschien, suchte man und man fand sie leblos in den Rabatten.

Sie wurde wieder aufgepäppelt, entschied aber, sich von Haus und Grund zu trennen, es fanden sich Käufer, eine wohlhabende Stuttgarter Familie, die ihr sogar das lebenslängliche Wohnrecht einräumte und ein Dienstmädchen finanzierte. Die beide hatten einige wenige gute Jahre, sie starb bald. Keine Ahnung woran, sehr alt wurde sie nicht. Die Stuttgarter nutzten das Anwesen nur zum Ferienmachen, bald hatten sie die Schnauze voll von der vielen Arbeit, die sie erwartete, wenn sie hier ankamen und wollten es wieder loswerden. Es stand dann viele Jahre hier so rum und wurde nicht besser davon.

Der Kindheitstraum meiner Mutter war, wie diese exzentrische Person zu leben, die sie aus deren Besuchen in der Bäckerei kannte, mutterseelenallein mit vielen Tieren, weit ab von allem, dort wo sich keiner einmischt. Letztendlich war es aber mein Vater mit seiner Städternaivität, der sie überredete, das Haus zu kaufen. Der ebenfalls keine Ahnung hatte, wieviel Zeit man hier reinstecken muss. So ist es dann auch geblieben, meine Mutter hat im Garten gerackert und mein Vater ging zum Segeln.

Ich vermute, ich werde auch eine Art Waldhauserin werden, eine komische etwas grosstädtische Person, die hier in grossen Salons mit vielen Tieren lebt und mit der Arbeit nicht rumkommt. Möge man mich in den Rabatten finden, falls es nötig ist.

Dieses Portrait am Anfang ist ungefähr zwei mal drei Meter gross und hägt im Treppenhaus. Einer ihrer Künstlerfreunde hat es gemalt. Ich kann es gut leiden.

Die andere Seite

In regelmässigen Abständen hat der F. zu mir gesagt Warum liest Du nur diesen Quatsch und meinte damit die Internettagebücher, die ich schon seit langen Jahren mehr oder weniger regelmässig besuche. Das hat doch alles keinerlei politische oder gesellschaftliche Relevanz. Nö. Ich hab ihn dann ein bisschen aufgezogen, ob er alle Erbaulichkeiten nach Kriterien politischer oder gesellschaftlicher Relevanz auswähle, sich so beispielsweise seine Begeisterung für Cy Twombly erklären liesse. Wie man denn dieses Befindlichkeitsgelaber mit richtiger Kunst vergleichen könne, hat er mich und sich gefragt. Einig sind wir uns auch hier nicht geworden.

Seien Sie gewiss: Es gibt hier nur Befindlichkeitsgelaber, garniert mit ein paar Lesezeichen und bunten Bildern. Bestenfalls Reisebeschreibungen von wenig spektakulären Orten. Nichts von politischer oder gesellschaftlicher Relevanz, leider. Und Kunst ist es auch nicht. Ganz wohl ist mir dabei nicht.

Gestern bin ich nach Konstanz gereist weil ich dort eine Vorbesprechung für ein sehr schönes Projekt hatte. Jedenfalls war die Herstellung der letzte Ausgabe eine Freude. Der Besuch hat lange warten müssen (es war bisschen knifflig), dann haben wir prima gespeist und sind noch ein bisschen durch das Städtle geschlendert. Irgendwann wurde sogar der Himmel ein wenig blau. Den Aperitif gabs dann wieder auf der richtigen Seeseite.

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v.o.n.u. Imperia, Wasser und Brot, Unipingpong, gelbe Dalben, Ausblick und Aperitif mit Miniuntergang.

Ich glaube, das wird ein schöner Job.
Ein schöner Tag war es schon mal.

Statt in Istanbul

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war ich gestern in der Schweiz. Wozu wohnt man schliesslich am Bodensee. Und ich habe keinen Streit mit dem Zöllner bekommen, obwohl er mich rausgewinkt hat. Er hat nicht mal gemerkt, dass mein Ausweis abgelaufen ist, so hat er sich für meine Nummernkonten interessiert.

Es scheint, ich sehe aus, als hätte ich ein Konto in der Schweiz. Das ist doch was. Dass das gammelige kleine Auto voller Stroh, Heu und Hundshaare ist, ist natürlich nur Tarnung.

30 Stunden

Besuch aus München. Freundin D. kam vorbeigerast, auf dem Weg zur Buchmesse. Die D. hat vor einiger Zeit von einem sehr kleinen und feinen Verlag in Berlin zu einem sehr grossen und weniger feinen Verlag in München gewechselt, um noch ein bisschen Karriere zu machen.

Sie arbeitet nun als Lektorin für Frauenliteratur und hat uns, dem Damenkränzchen, neben schallendem Gelächter schon mitunter die Schamröte ins Gesicht getrieben, wenn sie uns aus ihren Manuskripten vorgelesen hat. Das ist ja eine Sparte, die an mir komplett vorbei ging bislang. Ein Glück. Musst Du nicht manchmal schreiend durch die Strassen rennen, wundere ich mich. Musse nich, und meint man könne sogar in diesem Sumpf das ein oder andere Schmuckstück finden. Zwischen den Varianten:

Frau, Anfang dreissig Mitte zwanzig, wird von ihrem Mann verlassen, findet plötzlich ihre Erfüllung in anderen Dingen (z.B. Beruf, gerne im sozialen Bereich) und in diesem Zusammenhang letztendlich auch wieder die Liebe. Heiratet und wird dann gleich schwanger.

oder

Frau, Ende dreissig, verliert Ehemann durch schrecklichen Unfall, muss nun drei Kinder alleine grossziehen, und findet Trost in anderen Dingen (z.B. Beruf, gerne im sozialen Bereich) und in diesem Zusammenhang letztendlich auch wieder die Liebe.

oder

Frau, Anfang fünfzig, wird von ihrem Mann wegen einer Jüngeren verlassen, die Kinder sind aus dem Haus, findet aber plötzlich ihre Erfüllung in anderen Dingen (z.B. Beruf, gerne im sozialen Bereich) und in diesem Zusammenhang letztendlich auch wieder die Liebe (Mann kommt zurück, manchmal).

oder

Susi, eine reine milch- und honiggleiche Jungfrau, trifft Klaus, den schwarzen Schurken mit abgründigen sexuellen Präferenzen, und lässt sich aus Hingabe ein, mit ihm allerhand mehr oder weniger exotische Varianten des Liebesspiels auszuprobieren. Was dann mehr oder weniger gekonnt, aber sehr ausführlich beschrieben wird. Kennen sogar wir alle inzwischen.

Was mich wirklich überrascht hat ist, dass sich zwischen diesen pastellfarbenen Buchdeckeln mitunter handfeste Pornographie verbirgt. Die D. jedenfalls, die zwar nicht schreiend durch die Strassen lauft, verlegt sich langsam mehr auf Krimi, was ja ganz nach meinem Geschmack ist.

Heiter plaudern wir in italienischer Erlebnisgastronomie über derlei Erzählen und ich ärgere mich (trotz des Erlebnisses und der sonstigen Heiterkeit) wieder mal, dass man sich hier meist zwischen See und gutem Essen entscheiden muss. Der See aber gibt sich grosse Mühe, mich zu beruhigen, schaukelt und gluckst zu unseren Füssen, die Sonne blendet über bunte Bäume und macht dolle Kontraste. Auch das Lieben, Verlassen und Verlassen werden kommt zu Sprache, und ich freu‘ mich sehr, denn die D. wurde direkt nach der Umsiedelung von ersterer heimgesucht. Eine Geschichte, fast wie in ihren schrecklichen Büchern.

Wir schnappen den Sauhund, der sich ausnahmsweise mal von seiner besten Seite zeigt, und machen einen wunderbaren langen Gang um Maria im Stein (Achtung, total schräger Youtubefilm, ist aber fast genau unsere Route) und zünden sicherheitshalber ein Kerzlein an.

Die D. muss nun ruhen und ich breite das Abendmahl:

Flädlesuppe
Felchen- und Kretzerfilet mit Bandnüdele,
4erlei Gartengemüse und Safransahnesössle.
Vanilleeis mit Hernn Häuslers Schlehenlikörle

(das -le muss man hier, wenn man findet, man hat gut und regional gekocht oder destilliert)

Birnauer Kirchhalde Grauburgunder
Limoncello aus Napoli

Und dann, ja dann waren wir alle so erschöpft von den ausschweifenden Vorabenden, dass die D. und ich uns durch die Abgründe von Wetten Dass … gequält haben. Dabei entschlummerten.

Nach einem opulenten Frühstück am Sonntag morgen aufbrachen, das Fürstenhäusle in Meersburg zu besichtigen, wo ich zuletzt als Kind war. Und ein Bekannter meiner Eltern damals ins Gästebuch schrieb:

Wenn ich gewohnt hätt‘ wie Annette,
was meinst wie ich gedichtet hätte.

Dem kann ich nur zustimmen. Leider schlug der Häuslefluch (eng verwandt mit dem Neapelfluch) wieder zu, und wir verquatschten uns bei Kaffee und Kuchen im zauberhaften Burgcafé (solche Webseiten gibt es noch?), so dass dieser Programmpunkt wie so viele Male vorher gestrichen werden musste. Der Weg zum Bahnhof war dann aber viel kürzer als gedacht, so dass ich der D. noch schnell zeigen konnte, wo mich aufopferungsvolle Lehrer letztlich doch noch zum Abitur geschleift haben und wir uns beim Markgrafen noch mit Alkohol eindecken konnten. Bahnhof. Abfahrt. Icke dann Schreibtisch. Später Tatort, huhu Beckchen, wegen Dir, meiner Freundin habe ich das alles ertragen. Ich hoffe, Du weisst das zu würdigen!