Fast wie ein Zauberberg #01

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Was willst Du denn da fragt der F. Du bist doch gar nicht krank. Das letzte Mal, ja gut, da schon. Ich sag nix. Denke nur. An Männerschnupfen, an mit dem Hammer auf den Daumen hauen und sowas. Packe weiter. Ob er mich dort hinfährt weiss er noch nicht, ist ja schon sehr mühsam usw. Das erste Mal war ich da bald nach der Diagnose, in einem goldenen Oktober, mit dem Zug, der nicht mal in die Nähe fuhr. Ist ja schliesslich Deutsche Bahn, da muss gespart werden. Rings um die Seen verlassene Bahnhöfe aus Klinker, ohne Scheiben, schwarz bemalt mit schlichten Sinnsprüchen. Statt Zügen gibt es Busse, aber viele sind es nicht, hier wohnt eh keiner mehr. Verspätung. Es regnet dünn in Mecklenburg. Der nächste Bus kommt in zwei Stunden. Ich sitze mit den Kleidern für vier Wochen (die Chronischen bekommen kinderleicht vier Wochen) unter dem zerschlagenen Glasdach und heule, sieht ja keiner.

Und friere. Irgendwo muss es auch hier menschliches Leben geben, tatsächlich. Die Alte Schmiede leuchtet bierreklamenhaft gemütlich in die frühe Dämmerung. Drinnen ich Apfelschorle, und an grosser Tafel eine Sippe, die sich alle Mühe gibt, sämtliche Voruteile in Sekunden zu belegen. Die Alten mit Frisur und Meinung, die Mittleren geschmückt mit martialischen Bildern (auf Haut und Wams), der Kleene in Fraktur und ohne Haare, auch bemalt, und die Kameradin voller Silber im Gesicht, alle einig, friedlich vertieft in ein lautstarkes Gespräch über Neger und Zigeuner. Und was die so verdient haben. Ich fühle das Elend der ganzen Welt und mein eigenes vertausendfacht in dieser traurigen Kaschemme. Warm wird mir nicht. Die Zeit vegeht dennoch und ich schleppe mich und mein Gepäck zurück zur Bushäuschenruine. Und der kommt.

Also, er fährt mich dann dieses Mal, ich weiss ja, dass er immer braucht, sich an solche Gedanken zu gewöhnen, so Expeditionen ins gefährliche Ungewisse mag er gar nicht. Es gibt fast keinen Streit im Auto. Nur nochmal kurz, was ich da will, zur Ruhe kommen sag ich.

Dort ist alles wie gehabt, die Bandscheiben schauen ganz fröhlich aus der Wäsche, die Gehirntumore haben gar keine Haare oder so runde ausrasierte Stellen, wo man durch milimeternachgewachsenen Flaum die Narbe sieht. Die Schlaganfälle sehen grau aus. Und die MSler ziehen gern ein Bein nach oder beide. Ich geh zum See. Es ist Sommer. Ich kenne mich aus. Eigentlich wollte ich ja für Psycho. Zahlt die Kasse aber nicht, da geht nur Neuro. Na gut, Hauptsache wohin.

Auch beim Essen kenne ich mich aus, kann man eigentlich nicht essen. Bisschen von Vegetarisch. Neben mir sitzt Tom, der war Texter in einer tollen Agentur in B. Durchschnittlich noch ein Jahr, mit dieser Art von Tumor. Sein linker Arm ist lahm, hat was abbekommen bei der OP. Einmal stupst er mich versehentlich damit und es dauert einen Moment, bis ich was sage, wir lachen uns halbtot, wir, die Neuros, da braucht das halt alles etwas, er ist ein grosser Kasper und berlinert wundervoll (genau wie der Kommunist, da gibt es grosse Unterschiede). Immer öfter kommt er nicht zum Essen, schliesst sich in sein Zimmer ein. Er wohnt direkt neben mir und ich bilde mir dann ein, dass ich ihn weinen höre.

Die anderen Folgen gibt es hier.

Warum das hier steht: Heute morgen ist mir ein Sack Reis die volle Mistkarre umgefallen. Und ich dachte an die Rehaneurologenfrage, ob die Kraft weniger geworden sei. Die ich beherzt mit nein beantwortete. Hätte aber ja heissen müssen. Hier kann ich’s ja sagen.

14 Gedanken zu „Fast wie ein Zauberberg #01

  1. montez

    Ich befürchte, das ist eher was Mittelfristiges. Schon länger und für immer. Aber nicht soo dramatisch. Wiegt schliesslich allerhand, so ’ne Karre Mist.

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  2. Casino

    kleinere karren? also wenn schon mist. dann müssen sie vielleicht häufiger laufen, aber das trainiert dann die körperteile drumrum, also ohne jetzt mehr als ahnen zu können, was sie in den hohen kalten norden getrieben haben mag.

    gibt es denn bei ihnen keine schnuckeligen mistkarrenschieber, dem sie dann zugucken können für eine flädlisuppe?

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  3. Casino

    selbstredend wünsche ich ihnen, dass sie auch in zukunft noch den größten mist durch die landschaft bewegen können und sage deshalb: war nix, bestimmt.

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