Südseeköniginnen

Für das kleinste der Patenkinder gestern versucht, das heissgeliebte Lieblingsbuch meiner Kindheit zu besorgen: Richard Scarry: Mein allerschönstes Europareisebuch. Gibt es nur noch antiquarisch.*

Kein Wunder. Von diesem Buch habe ich gelernt, dass Schotten geizig sind, Italiener Taschendiebe, Amerikaner fett (und ihr Nutzen ist, das Loch in einem holländischen Deich zu verstopfen), Iren wegen unerfülltem Kinderwunsch zu dubiosen Heiligtümern pilgern und viele ähnliche Dinge. Selbstverständlich habe ich meine Einschätzung gegenüber diesen Nationen bis heute nicht geändert.

Ich lese ja nun auch dauernd von den bereinigten Kinderbüchern. Dann bin ich mal dieser Meinung, dann wieder einer anderen. Und dann gar keiner mehr. Ein Hin und Her. Zum Beispiel gendere ich in meinen Mails, im Gegensatz zu hier. Da ich nur für Gutmenschen arbeite Bei der Arbeit halte ich das auch in offiziellen Schriftstücken für selbstverständlich und normal, und zwar nicht nur mit einem Zusatz bei allen männlichen Formen im Text seien die Frauen selbstverständlich mit gemeint.

Aber außerdem bin ich früher mal Restauratorin gewesen. Und mir wurde in der Zeit meiner Ausbildung ununterbrochen eingebläut, dass nichts heiliger ist als das Original. Als größtes Zugeständnis können vielleicht ein paar kleine Reste einer älteren Restaurierung sichtbar bleiben, um Geschichte (und die verschiedenen Auffassungen über das korrekte Aussehen) und Patina des Werkes sichtbar zu machen.

memling

Was zum Beispiel ist davon zu halten, wenn die Prüderie der vorletzten Jahrhundertwende eineN berufeneN KünstlerrestauratorIN (also in diesm Fall mich, ich könnte das natürlich auch besser, hab aber keine Zeit) veranlasste, einer fast nackten Bathseba (Hans Memling) ein verhüllendes Badetuch zu verpassen. Darf man sowas? Und sollte man das dann so lassen? Man kann in der Restaurierungsgeschichte ganz gut sehen, was der Zeitgeist mitunter für Blüten trieb, da würden Leute dünner gemacht, angezogen oder vollständig übermalt. Rausgesägt. Zersäbelt.

Schon immer wurden mit mancherlei Darstellungen Gemüter verletzt, lange lange Zeit Kleinwüchsige, geistig und körperlich Behinderte, Mohren diskriminierend und stigmatisierend dargestellt, vermutlich ist das an mancher Stelle immer noch so. Sollen die jetz alle übermalt oder ausgelöscht werden? Heute ist das in der Malerei zu recht undenkbar, selbst wenn es einen gesellschaftlichen Konsens über diese Abscheulichkeiten und Herabwürdigungen gibt.

Wenn wir nun also annehmen, Schriftsteller seien auch Künstler, dann verbietet sich das bei Büchern in absolut gleichem Maße.

Ach. Herr Kid erzählt von den literarischen Abgründen seiner Kindheit, da sind meine italienischen Taschendiebe wieder mal beschaulich.

* Und es wurde inhaltlich überarbeitet und reduziert!.

14 Gedanken zu „Südseeköniginnen

  1. books and more

    Schlage vor, insbesondere die Bibel als Hausbuch aller progressiven konservativen MinisterInnen und (um niemanden auszuschließen:) MinistrantInnen umzuschreiben (und gleich auch sämtliche Kunst mit biblischer Ikonografie umzumalen). Alleine die Figur des Jesus gibt Anlass zu vielerlei Anstoß:
    a) in seiner Verherrlichung als Gottessohn könnte er Angehörige anderer Religionen mit eigenen (oder gerade keinen) GottessöhnInnen brüskieren
    b) man könnte auf die Idee kommen, Kreuzigung sei im Grunde OK
    c) man könnte … [ohne lang nachzudenken auf mindestens 10 weitere Absurditäten kommen, von denen ich einige hier wieder gelöscht habe, weil ihrerseits politisch Unkorrektes enthaltend]

    In jedem Falle finde ich Ihre Bathseba einen sehr schönen Anfang. Photoshop aufgemacht und weiter so!

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  2. montez

    Mensch Herr Book, ick muss doch meine Wildnis in Deutschland-Broschüre heute fertig bekommen (trödle sowieso schon viel zu viel in diesem Internet rum). Da gehts übrigens u.a. um ähnliche Themen: … wird nicht versuchen, in Naturgebieten natürliche Systeme in einem bestimmten Zustand einzufrieren. Was genau Natur oder Wildnis ist verändert sich auch dauernd.

    Ausserdem reizen mich Originale viel mehr als diese Reproduktionen.
    Ich dachte z.B. an Goya.

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  3. books and more

    Das sind (ohne Ironie) spannende Grenzfragen im Sinne von: Fragen danach, wo eigentlich eine Grenze sei. Abgesehen von den aktuellen Kinderbuchretuschen u.a., die einfach zur Karikatur reizen, gibt es ja die ernste Frage, wo es in der Tat besser wäre, einen Text zu ändern oder überhaupt aus dem (zumindest nichtwissenschaftlichen) Verkehr zu ziehen. Es käme ja heute auch keiner auf die Idee, judenhetzerische Bilderbücher aus dem Dritten Reich wieder aufzulegen – und mit Recht.

    Will Sie nun aber nicht länger abhalten, habe ja selbst einen Sicherungskasten zu montieren & verdrahten. Vielleicht liest man sich später noch mal – vielleicht auch nic.. *britzel ZISCH*

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  4. montez

    Tatsächlich finde ich die Frage von Herrn Book nach der Grenze interessant. Was ist wann tolerierbar, wann beginnt die Hetze? Was ist Zeitgeschmack? Wann ist etwas Kunst und ist es deshalb unantastbar? Und wer darf was?

    Wie gesagt, ich mäander so herum. Montezsche Einfalt.

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  5. bonanzaMARGOT

    ich wollte nicht, dass jemand meine gedichte oder gemälde verschandelt, umschreibt oder ummalt. ganz egal, welche motive er hat.
    es kommt auch drauf an, ob es sich z.b. bei der malerei um einen druck oder das original handelt. und texte sind sowieso kopien des originals, ebenso musik. da geht es um die schwierige frage des urheberrechts.
    wenn jemand meine texte aus privatvergnügen umschriebe, wäre mir das egal. nur sollte er eben auf das original verweisen.
    und sowieso ist mir alles wurscht, wenn ich tot bin.

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  6. montez

    Wenn Sie ein rassistischer Massenmörder wären, würde ich dafür plädieren, Ihre reisserischen Schriften und entstellenden Bilder nicht zu reproduzieren. Auch wenn Sie tot waren.
    So ist aber alles in Ordnung, glaub ich.

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  7. bonanzaMARGOT

    auch ein rassistischer massenmörder kann ein guter künstler sein.
    man muss sich halt kritisch mit der person befassen, den motiven und z.b. dem einfluss des wahns auf die kunst.
    nehmen wir das aktuelle beispiel klaus kinski. mir war schon nach dem misshandlungsouting seiner tochter klar, dass klaus kinski ein arschloch war. aber er war eben auch ein fantastischer vortrags-künstler und provokateur.

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  8. montez

    Da kommt es auf das Produkt an (reisserischen Schriften und entstellende Bilder). Finde ich. Ach, wie gesagt, ich muss da noch weiter drüber nachdenken.

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  9. bonanzaMARGOT

    eben, wo soll man die grenzen ziehen? und wer zieht sie – stellvertretend für alle?

    das ist ein haariges problem. ich plädiere dafür, dass man alles zulässt – außer filme, bilder oder andere dokumente, wo menschen für das „produkt“ gequält, gedemütigt, verletzt oder gar getötet werden.
    ansonsten sollte man z.b. texte wie rassistische hetzschriften nicht unwidersprochen in die öffentlichkeit dringen lassen.

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