Übermut, jugendlicher

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Geld war ja nie da. Brauchten wir auch nur manchmal, für Miete (ganze Wohnung 200 DM durch zwei), Bücher, Ausgehen. Und mal nach New York.

Bei Kaiser’s in der Pappelalle haben wir ab und zu was eingesteckt, bis eine erwischt wurde, mit allem drum und dran, Good Cop Bad Cop im Hinterzimmer, Hausverbot, ist wohl abgelaufen, und letztlich eigestelltem Verfahren. War uns eine Lehre, danach wurde immer alles brav bezahlt, und das meiste sowieso im Bioladen in der Wichertstrasse gekauft. Ja, sowas gab es auch schon 1995 in damals noch entlegenen Gegenden, er hiess Uckermarkt und wurde von ein paar langhaarigen Ossis betrieben. Man konnte Kohl in allen Farben kaufen. Kartoffeln. Rüben. Natürlich kein Fleisch, schon gar nix Tiefgefrorenes. Am schwarzen Brett informierte man sich über Bürgerbewegtes. Spater hatten wir dann eine Biokiste von einem Prignitzer Lesbenkollektiv. Mit Rüben. Und Kohl.

Geldbeschaffung fand in meinem Fall durch einen mehr als depremierenden Job in der Markt- und Meinungsforschung (Gute Nacht, äh, Guten Tag Deutschland) und im Fall der Mitbewohnerin in der Gastronomie statt. Tatsächlich haben wir, immer wenn es etwas Besonderes zu feiern gab, alle Kröten zusammengekratzt und sind völlig unverhältnismäßig essen gegangen. Das kam in etwa zwei Mal im Jahr vor, am Liebsten in den Offenbach Stuben (schmerzvoller Seufzer), aber manchmal auch wo anders. Einmal in einem Restaurant namens Rosenbaum, das einem heute wie eine Prophezeiung vorkommt, damals eher wie ein verirrtes UFO. Die Mitbewohnerin hat während des Essens ganz frech nach einem Job gefragt (wir waren jung und … manchmal) und ihn tatsächlich bekommen. In einer Zeit, als der P-Berg noch dreckig, arm, laut und lustig war, kamen diese romantischen Irren auf die Idee, ein gehobenens Restaurant zu eröffnen. Beim Gugeln habe ich gerade gesehen, dass Tim Rauhe damals der Küchenchef war, hm, ja das Essen war prima. Bald gab es Fensterläden aus Metall gegen das Einschlagen der Scheiben, Kundschaft aber keine. Und fluxi ging die ganze Sache den Jordan runter, heute ist das Ding zum hundertsten mal verpachtet, zuletzt war da was Russisches, wenn ich mich recht entsinne.

Die Mitbewohnerin fand über geölte Beziehungen was im Obst und Gemüse (schmerzvoller Seufzer), dieser schummrig beleuchteten Bar, wo ich meinen allerersten Kaffee im Glas bekam. Hinterm Tresen arbeitete Berlins schönster Mann, der später von seiner damaligen Liebsten sehr unvorteilhaft in einer Kurzgeschichte verewigt wurde, ich hab mich schlappgelacht, als ich nichts ahnend in einem Bestseller darüberstolperte. Diese Schriftstellerin mit der eindrucksvollen Nase konnte sehr viel Whisky trinken, ohne vom Barhocker zu fallen, das habe ich mehrfach genau beobachtet.

Ein paar von der Belegschaft machen immer noch Gastronomie, zum Beispiel den Schleusenkrug mit seinem wunderbaren Biergarten, oder Conni ihr winziges Conni Island, das sie mit viel Herzblut betreibt und wo man immer jemand trifft.

Ich hab vergessen, warum mir das heute morgen beim Ausmisten eingefallen ist. Ist es aber. Sind wir etwa schuld an Allem?

8 Gedanken zu „Übermut, jugendlicher

  1. kopffüßelnde

    Unbedingt! Lustigerweise war ich heute mit einem Mann im Scheunenviertel unterwegs, der Mitte und Prenzlberg zuletzt vor 30 Jahren gesehen und erlebt hat. Der hatte auch schöne Geschichten auf Lager.

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  2. Casino

    oh danke für diese wunderbare, äh reminiszenz! ich hatte gleich den kohlegeruch wieder in der nase und das grau vor augen. das obst und gemüse ist in echt geschlossen? es wirkte unkaputtbar und war sehr aufregend, erinnern sie sich noch an den eimer erdnüsse, der in der fensternische stand? diese geschichte mit dem schönsten mann muss ich gleich mal suchen gehen. höchst ehrenvoll, da mal gearbeitet zu haben.

    nach o&g hatte ich dann eine hackbarthphase, den laden gab es aber neulich noch, der ist immernoch voll. oder das cafe silberstein, auch auf der oranienburger, ein paar häuser weiter, mit den riesigen eisenstühlen? sehr cool im sinn von kalt.

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  3. montez

    Sie sind schuld, jetzt weiss ich’s wieder. Seit ich Ihr Blog lese, fällt mir dauernd was von früher ein. Könnt ich das ganze Internet mit vollschreiben.

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  4. montez

    Ja, es war immer eine schöne Erdnusssauerei überall.
    Na klar Hackbarth, wunderbar. Und das Silberstein hatte die ersten Sushi. Sehr teuer und sehr exotisch. Ich als Teilzeitsnob hatte auch noch eine Greenwichphase, Gimlet trinken, während fahle Fische bei fahler Beleuchtung unglückliche Gesichter machen. Und wir kamen uns dabei ziemlich toll vor. Mindestens so gerne hatte ich Eschloraque und Hirschbar. Eimer. Toaster. St. Kildas’s. Das besetzte Haus am Kollwitzplatz, hatte das einen Namen? (usw. usf.)

    Ich frag mich immer, wann es dann gekippt ist und zu viel wurde. Zu viel Bar, zuviel Schuhe, zuviel Bio.

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