Das Glück der Anderen

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Das Ehepaar am Nebentisch beschäftigt mich allabendlich. Seine Verlorenheit schwappt so fühlbar bis zu mir, dass sie mich regelmäßig vom meinem wunderbaren Essen abzulenken vermag.

Er trägt jeden Abend ein anderes buntes kurzärmliges Hemd, das mit mir unbekannten Schriftzügen bestickt oder bedruckt ist, dazu eine Jeans mit kunstvollen Löchern oder Applikationen, sie schlichte langärmlige Blusen und Pullunder zu unauffälligen Stoffhosen, alles uni. Ich frage mich, ob sie seine Kleidung kauft. Ob sie findet, ihr Mann sehe besonders sportlich darin aus. Sie sind sehr freundlich grüßen mich immer, und sprechen dann den ganzen Abend kein einziges Wort miteinander. Er trinkt Bier, zum Lamm, zum Winterkabeljau, zum Kalbsrückencarpaccio, zur Lachsforelle, zum Hummersüppchen, zu Palatschinken und sie immer den gleichen rosa Zweigelt. Ich rate, er ist Leiter der Lehrwerkstatt in einem metallverarbeitenden Betrieb, sie arbeitet Teilzeit in einer Bäckerei. Diesen Urlaub haben sie bei einem Preisausschreiben gewonnen und haben sich vorgestellt, wie aufregend das sein würde, und jetzt haben sie so offensichtlich kein Vergnügen daran, dass es mir das Herz zusammenklebt. Ich möchte was nettes Tröstliches sagen, aber eigentlich geht mich das ja gar nix an. Zerbrich Dir nicht immer anderer Leute Kopf, schimpft der F. in meinem.

6 Gedanken zu „Das Glück der Anderen

  1. montez

    Ach, auf mein eigenes Gemüt schlägt mir das eigentlich nicht. Es tut mir vorallem leid, wie man inmitten von so viel Hübschheit (Schnee, Landschaft, Essen, Luft) so freudlos sein kann. Aber vielleicht haben sie ja echte Sorgen.

    Buch ist immer dabei.

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  2. keinekrabbe

    ist jedenfalls echt schön! Ich finde ja, im Urlaub Leute beobachten, kann sehr unterhaltsam sein. Man gibt ihnen heimlich Namen und denkt sich ihre Geschichten aus. Besser als Kino.

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  3. lost.in.thought

    Kopfzerbrechen kann man nicht ändern.
    Man ist so.
    Oder man ist nicht so.
    Da hilft auch Schimpfen nix !

    Trotzdem wünsche ich einen genussvollen Urlaub !

    ahja – übrigens. Kleine Nachhilfe.
    Es sind DIE Palatschinken. Immer im Plural.
    Immer weiblich.
    Auch wenn sie singulär daherkommen.
    Also es ist „EINE Palatschinken“.
    Komisch, gell.
    Kommt noch aus der Österreichischen K&K Zeit,
    als die Ungarische Küche hier rübergeschwappt ist.
    Die Bezeichnung selbst kommt wohl aus dem Rumänischn „placinta“,
    das wiederum vom Lateinischen „placenta“ für „Kuchen“ kommt.
    Das Ungarische „palacsinta“ kommt den Österreichischen
    Palatschinken dann schon sehr nahe… Mahlzeit !

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  4. books and more

    Manchmal, gell, genügt ja ein kurzer Seitenblick auf ein anderes Leben und die Welle des (unguten) Eindrucks haut einen aus den Skistiefeln und der Pistentag ist quasi gelaufen… Musste ich mich früher oft ziemlich zusammenreißen; ist besser geworden. Oder ich selektiver in der Sitzplatzwahl. Im Zweifelsfall allein mit Hase & Buch.

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