Paroles

sonne

Ich hab ja mal ein Semester in Strasbourg studiert. An einer niedlichen kleinen Kunsthochschule, deren Illustrationsklasse renommierte Comiczeichner erfolgreiche Künstler hervorbringt. Die Uni blieb mir fremd, dennoch habe ich in diesem verschulten System brav Gesichter und Körper gezeichnet, mich in der Gruppe schreiend und mit Kohle schmierend von inneren Zwängen befreit und nachmittags versucht, den Verlust des Kommunisten zu bearbeiten. Dazu fuhr ich viel allein mit dem Fahrrad im Elsass herum, schrieb selbstmitleidige Texte* und wanderte in den Vogesen.

Eines schönen Tages war es jedoch vorbei mit der Einsamkeit, denn eine freche Französin mit (ja, wiedermal) sehr schönen grünen Augen verlor ihr Herz an mich und tänzelte um mich herum, schleppte mich auf Parties und in Kneipen und nötigte mich, Jacques Préverts Gedichte im Original zu lesen. Trotz all des dargebotenen Liebreizes gehörte mein Herz noch immer dem Kommunisten und die Sache wurde dann etwas verzwickt, an den genauen Verlauf kann ich mich, wie so oft, nicht erinnern. Ich habe aber so ein Gefühl, dass die Chose nicht im Guten endete.

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Jene schöne Person ist inzwischen eine berühmte Comiczeichnerin, so konnte ich dem Internet entnehmen, und lebt noch immer in Marseille, woher sie stammt. Ich fahr‘ ja demnächst nach Marseille. Und ich hab ihr eine Mail geschrieben, es jedenfalls versucht, über die Datenkrake, und gefragt, ob sie einen Kaffee trinken geht mit mir. Ihre Telefonnummer habe ich auch gefunden. Aber ich habe irgendwie im Gefühl, dass sie nicht antworten wird. Ach. Was war ich doch für ein fieses Geschöpf, das völlig unbedarft auf anderer Leute Gefühle rumgetrampelt ist. An soviel kann ich mich jedenfalls erinnern.

* Ich hatte das alte Auto mitgenommen, erfand Lügengeschichten, um meine Ausflüge allein unternehmen zu können. Ich fuhr an diesen Ort in den Bergen, konnte nicht anders, nahm das gleiche Zimmer, schlief quer und schlecht im Doppelbett. Am Tage immer bergauf, ich erinnerte mich an den ersten echten Fliegenpilz meines Lebens, an mein Erstaunen darüber, fand die Stelle, ohne Pilz. Kriegerische Steinwälle, Gesprächsfetzen, die Taschen voller Esskastanien, Pinot Noit und Flugente. Ruinen. Der Bergfried, ein französisches Verbot: rot-weisses flatterndes Plasikband, hier kein Zutritt, grosse Gefahr, war eindeutige Aufforderung gewesen. Liebe auf einem Turm, pathetisch wie immer. Manchmal gelang es mir für einen Moment, ihn zu hassen, für das, was er mir weggenommen hatte. Abends sass ich in der Gaststube auf alten Bänken an dunklen Tischen, das Feuer trocknete meine Socken, aber ich hörte nicht auf zu frieren.

13 Gedanken zu „Paroles

  1. momoseven

    Danke für diese Geschichte von Ihnen!
    Ich bin auch so jemand, der sich schlecht an die Details erinnern kann, vor allem, wenn die Geschichte dann schlecht ausging.
    In Marseille war ich auch schon mal.
    :-)

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  2. Friederike (Gast)

    einfach noch eine Mail hinterherschicken und sagen, daß es einem leid tut. Das tut in der Regel beiden Seiten gut. Sagt meine Erfahrung. Ich habe so eine Mail neulich nach (Achtung) 25 Jahren noch abgeschickt, (weil es mir 25 Jahre auf der Seele lag) und der Empfänger wußte a) sofort wovon ich rede und hat es b) sehr dankbar angenommen.
    (warum das verzerrte Wort jetzt ausgerechnet „dart“ heißt, wie Pfeil-rein-in-Herz, weiß ich aber auch nicht. )

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  3. montez

    Ja. Ein bisschen schwierig finde ich, dass ich mir nicht ganz sicher bin, ob es etwas Greifbares gibt, dass mir leid tun kann. Oder es mehr um so ein diffuses Zeug ging. Aber, auf jeden Fall würde ich das gerne in Ordnung bringen.

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  4. Friederike (Gast)

    genau so formulieren. Auf die Gefahr hin, sich im schlimmsten Fall lächerlich zu machen. Aber das hat ja was.

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  5. momoseven

    Wir haben ganz früh vom Fischmarkt einen Berg Austern und frische Mupfeln geholt, und die dann mittags roh mit grünem Salat, Baguette und einem eiskalten Weisswein an einer großen Tafel mit tollen Leuten genüßlich geslürft!

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  6. tikerscherk (Gast)

    Merkwürdigerweise kenne auch ich das: jemanden vermutlich verletzt zu haben, oder vielleicht auch nicht, und dann nur noch wissen, dass alles unschön auseinander ging. Alles andere ist vergessen. Nur das Gefühl dazu ist noch da.
    Vor einer Weile erreichte mich ein Brief eines Menschen, dem ich wahrscheinlich etwas angetan habe (unbedarft, wie Sie so schön formulieren). In dem Brief schreibt er, der inzwischen in Kanada lebt, dass er, wenn er einen Wunsch frei hätte, sich wünschen würde, mich nie kennen gelernt zu haben, und mich auch gerne aus all seinen Erinnerungen tilgen würde.
    Das Ganze hatte etwas zu tun mit unerwiderter Liebe, oder so.
    Mir tut das leid, aber hätte man denn anders handeln können? Man war ja schleißlich man selbst.

    Ich würde auch versuchen sie zu treffen. Sie haben ja nichts zu verlieren dabei.

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  7. montez

    Schluck. Das möchte man ja nicht hören. Aber Sie haben recht, es ist ohnehin nicht zu ändern, was da geschah.

    Ja, ich versuche sie zu treffen, es ist nicht sicher, ob sie da sein wird. Aber auf jeden Fall freue mich mich bereits über unsere nette kleine Korrespondenz, die ohne Groll zu sein schien.

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