Seinerzeit #01

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Find den Link nicht mehr. Alles bisschen durcheinander gerade. Jedenfalls las ich in einer elektrischen Zeitung vom Revival der Bomberjacke. Kriegt man ja nicht mit, auf dem Land. Wie das manchmal so ist, löst einen Kleinigkeit eine andauernde Erinnerungskette aus. So auch hier. Pünktlich zum neuen Pearl Jam Album, welches ich mir sicher nicht anschaffe.

Wir befinden uns mal wieder im Berlin der frühen 90er Jahre. Die beste Freundin und ich leben weitgehend mittellos, ich mehr, sie weniger, in kurzen Abschnitten in verschiedenen Wohnungen. Angefangen hat alles in Schöneberg, nahe dem Innsbrucker Platz. Sie wohnte dort in einer Einzimmerwohnung mit dem M., einem sehr netten bipolaren jungen Mann, den sie vom Bodensee mitgebracht hatte. Als klar war, dass ich auch nach Berlin kommen würde, musste der junge Mann ausziehen, mir wird immer heiss, wenn ich daran denke, denn er war ein labiler junger Mann und ich glaube, er lebt nicht mehr (und ich bin nicht sicher, dass es da KEINEN Zusammenhang gibt). Für uns jedenfalls war sonnenklar, dass er das Feld zu räumen hatte. Ich zog ein. Im Winter. Es gab ein Zimmer und eine Küche. Im Zimmer lagen zwei Matratzen und in der Mitte stand ein Allesbrenner, ein Wort, dass ich nie zuvor gehört hatte. Ich war drei Monate erkältet. Gab es eine Dusche? Keine Ahnung, vermutlich. In der Küche.

Die I. und ich haben fast unser ganzes Leben miteinander verbacht: In der Grundschule war sie das Mädchen, dessen Freundin man unbedingt sein wollte. Ich hab über zehn Jahre gebraucht, aber ich habe es geschafft. Wir sind durch Höhen und Tiefen gegangen, haben sieben Jahre zusammengelebt, uns über vergessene Klopapiereinkäufe entzweit, über Männer fast, über Frauen ziemlich, und kennen einander zutiefst. Unser komplett synchronisierter Humor treibt jeden anderen zur Verzweiflung. Unsere Sprechweise wurde im Laufe der Jahre identisch, wir haben ungefähr die gleiche Tonlage und eine absolut gleiche Intonation. Immer noch. Einmal lagen wir damals nachts in Schöneberg auf unseren Matratzen, nach dem Konsum von allem möglichen und eine sagte etwas, und wir wussten nicht mehr welche. Welche überhaupt welche war. Das war sehr lustig und an vielen anderen Stellen praktisch, denn man konte sich selbst am Telefon verleugnen, das war immer mal nötig.

Die I. studierte lustlos allerhand und ich schleppte mich (fast) allmorgendlich zu diesem Schloss, um preussische Generäle aufzumotzen. Irgendwann entdeckte die I. die Sinologie. So traf sie Falko, der hatte eine Wohnung übrig im Prenzlauer Berg (vorher wohnten wir noch in Mitte, aber das ist eine eigene Geschichte). Da wollten wir hin. Die Wohnung war von oben bis unten voller Müll. Falko hatte keine Ahnung davon, denn er hatte sie jahrelang untervermietet, oder so was ähnliches. Wir räumten hunderte Müllsäcke da raus. Ich fand ein paar Dinge, die ich noch immer besitze. Keiner wusste, ob die Öfen noch funktionieren (nö). Bad? Nö. Dusche? Zerlegt hinter dem Klo. Hinterhof, Parterre. Aber billig. Kein Sonnernstrahl. Das ewige Frieren. Wie gesagt: Kein Geld. Anziehen musste man sich ja aber auch. Unser Besitz: Jeweils zwei Paar schwarze Jeans, zweite Wahl von Maaßen Zehn, ein paar Dockmartens, meine schwarz, achtloch, die der I. gelb und mindestens 14, natürlich mit Stahlkappen, Palituch, und ja, endlich hier die Kurve: Sie eine schwarze, ich eine rote Bomberjacke. Meine hatte sie mir aus New York mit gebracht, wo sie ein Dauerverhältnis mit einem großen schwarzen Clubbesitzer hatte. Dann hatten wir noch zwei graue Pullover, den einen hatte ich im Internat halb unrechtmäßig an mich gebracht, den anderen meinem bescheuerten Mitbewohner in S. abgeschwatzt, der ihn dann irgendwann unbedingt wieder haben wollte. Beide hatten sehr viele Löcher. Klaus hat mir dann sogar einen Brief nach Berlin geschrieben, in dem er den Pullover zurückforderte. Ich hab nicht geantwortet. Und bin dann wieder umgezogen. Für den Sommer hatte ich so ein kleines Blumenkleidchen. Und ein paar bunte schwedische Hemden.

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Irgendwann, ein paar Jahre später, haben wir feierlich eine Kiste gepackt. Mit diesen Sachen drin. Und sie in den letzten gemeinsamen Keller gestellt. Da steht sie noch, wie bescheuert. Die I. Ist grad mit Frau und Kind irgendwo in Griechenland. Wenn sie zurück ist, frag ich sie mal danach. Können wir jetz gewinnbringend verkaufen. Geht ja niemals kaputt, sone Bomberjacke. Und wir sind doch Kapitalisten inzwischen.

5 Gedanken zu „Seinerzeit #01

  1. speedhiking

    Bravo. Det nennick ne kierzverträgliche Gentrifizierung: Zum Kapitalisieren an See ziehen!

    (Scherz beiseite schöne bunte Lebensgeschichten. Liest man ja gerne. Vorschlag: Nächste Berlinfahrt synchronisieren und Bonzenprosecco? Herzlich S.)

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  2. montez

    Oh, das ist viel schöner als der verlorene Link. Ein Hauch von Dominanz, Landnahme und Unbesiegbarkeit mit verblödet-ordinärer Erdigkeit, ja genau. Dankesehr!

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