Tag und Nacht

Nächtens sorgenvoll aufwachen aus forstwirtschaftlichen Träumen, nicht mehr schlafen können und über das Eschensterben nachlesen. Vom Eschensterben zum Erlensterben geraten, zum Ulmensterben sowieso. In der Frühstückszeitung erfahren, der Kuckuckbestand sei in den letzten zehn Jahren um 30 Prozent zurückgegangen. Dann Schreibtischarbeit, zwei Banner über hilflos ambitionierte Massnahmen gegen den Klimawandel, zudem gestern und heute die Veranstaltungen über die Bemühungen zum nachhaltigen Anbau von Kakao und Palmöl. Gegen Ausbeutung und Hunger. Die hässlichen im Streit gesprochenen Worte dazu als Echo im Ohr. Alles für den Arsch. Da ist eh nix mehr zu machen.

Den Gedanken wagen, die Welt sei nicht mehr zu retten. Dem großen Ganzen nichts entgegensetzen können. Keine Demo. Keine Wahl. Keine empörten Postkarten ins Umweltministerium. Oder Spenden an Ärzte ohne Grenzen.

Nur alles mein Privatvergnügen. Die Freude über das Salomonssiegel, das Zweiblatt, das Tausendgüldenkraut. Das Landkärtchen, den Schillerfalter und den Russenbär. Nur für mich. Irgendwann bin ich tot, dann kommt einer und sprüht überall Roundup wegen Unkraut oder baut eine Schweinemastanlage. Scheiss drauf.

Also die Greisin vor Unbill beschützen, den Hummeln essen anpflanzen, mit den Möhren sprechen, sich um die Kirgiesen kümmern, alles weiter. Aber. Ohne Welt retten. Hab ich heut geschluckt. Gut gemacht sag ich zu dem Vogelkind, das auf dem Dach notgelandet ist, da kommt der Mörderkater selten vorbei, kannst ausruhen. Als ich wieder schaue, ist es fort. Ungegessen.

Ich zupf noch ein bisschen Unkraut in meinem biologisch-dynamischen Gemüsegarten. Nur für mich. Bald gibt es Radieschen.

Und übrigens, Blumfeld hat sich wiedervereinigt. Das passt ja.

18 Gedanken zu „Tag und Nacht

  1. arboretum

    Der Kuckuck ist Langstreckenzieher und kommt jetzt oft zu spät zurück, um den Singvögeln unbemerkt ein Ei unterzuschieben, denn die fangen jetzt wegen des Klimawandels häufig früher an, zu brüten. Kuckucksdamen bevorzugen zudem die Vogelart als Wirtsvögel, bei denen sie selbst aufgewachsen sind – und von denen haben auch einige – wie beispielsweise der Neuntöter – Probleme, weil ihre Lebensräume verschwanden (in Großbritannien ist er quasi ausgestorben).

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  2. speedhiking

    Einen unerhört voll- und wohltönenden Kuckuck hab ich neulich getroffen im hohen Fichtenwald, tadellos kuckuckend. So schön, dass ich extra ein steiles Südhangfichtenstämmevideo für Sie (alle, aber besonders) gedreht hab, wo er akustisch drauf … gewesen wäre. Sein sollen. Also gekonnt hätte. War wohl, wie sich zuhause am Schreibtisch zeigte, das Mikro im Handy zu schwach :-(

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  3. Wieseltier (Gast)

    Über meinem Schreibtisch, auf der Wand, steht groß: „Alle Flüsse fließen ins Meer. Das Meer wird nicht voll.“ Ist wohl aus der Bibel. Tröstet mich Gottlose trotzdem, in der täglichen Kleinheit.

    Naja. Ich werde sterben. Die ganze Welt stirbt vielleicht irgendwann auch. Sinn hat das alles sowieso nicht. Egozentristische Beruhigungsversuche.

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  4. montez

    Mich tröstet die tägliche Kleinheit. Glaub ich. Ein bisschen.
    Diese Flusssache hänge ich auch auf. Das kann ich ständig brauchen.

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  5. Clara (Gast)

    Oh, das freut mich von dem Igel zu hören! Er scheint zu wissen, was er an Ihnen hat. Ich vermute, er möchte sich den nächsten Abenteuerurlaub, ehm Winterschlaf verdienen.

    Und ich musste schon beim ersten Lesen des Beitrags an eine vor Jahren gelesene Buchbesprechung denken, in der mir der Satz so gut gefallen hat: „…eine Absage an die großen Träume und ein Plädoyer für das Leben, das seinen Sinn dadurch bezieht, dass man es lebt und jene zwei, drei Dinge tut, von denen man glaubt, dass sie getan werden sollen.“

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  6. montez

    Noch dazu, dem Artikel nach, werden die afrikanischen Winterquartiere zerstört. Und viele kommen gar nicht erst zurück, weil sie unterwegs verhungern. Ach.

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  7. arboretum

    Ja. Ich las neulich, dass auf Zypern jedes Jahr Millionen Zugvögel illegal gefangen werden – mit Leimruten, Fangnetzen und elektronischen Lockanlagen. Die Turmfalken, Zwergohreulen und Kuckucke, die ebenfalls in diesen Fallen gehen, landen im Abfall. Mehr Infos darüber gibt es da, eine Unterschriftenliste der Stiftung Pro Artenvielfalt findet sich dort. Auf Malta, Sizilien, Sardinien und in Spanien sind die Vogelwilderer ebenfalls aktiv.

    Ich hoffe sehr, dass der Kuckuck, der unten am Fluss ruft, und der, der ihm vom anderen Ufer antwortet, auch dieses Jahr zurückkehren.

    (Ich muss endlich einmal beim Spazieren mein Portemonnaie mitnehmen und darauf klopfen, wenn ich ihn höre.)

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  8. Friederike (Gast)

    Habe ich heute früh gedacht. Schlecht geschlafen. Nicht etwa, weil die Welt in Stücke zerfällt, sichtbar, hörbar, nachlesbar, ständig und überall, sondern weil ich fürchtete, die Eisheilige Sophie würde mir die Erbsen im Garten kaltmachen. Das bringt mich um den Schlaf. Und das wiederum könnte einen glatt um den Verstand bringen.

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  9. montez

    Ja. Da hab ich neulich auch mal wieder drüber gelesen. Ist ja irgendwie in Vergessenheit geraten. Ne, grad kann ich nix unterschreiben, bin gespannt wie lange die Resignationsphase anhält.

    Einen Kuckuck gibt es hier schon Jahre nicht mehr. Ich wünsch‘ Ihnen Ihren! Aber das mit dem Geld: Das klappt ja nur beim ersten im Jahr, oder? Meine Taschen waren leer.

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  10. Clara (Gast)

    Ich finde ja nach wie vor, wenn jede/r seinem Privatvergnügen so wie Sie nachginge (und diese kleinen Dinge halte ich manchmal für die schwierigsten), dann sähe es mit dem großen Ganzen insgesamt auch schon besser aus.

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  11. montez

    Herjeh, die Erbsen. Ich hab ein Fliess (?) drübergedeckt.
    Hier hat es vorgestern sogar gehagelt. Aber heute nachmittag ist es dann überstanden. Ick schwör.

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  12. montez

    Ach, Madame, jetzt bin ich direkt gerührt. Aber es ist mir tatsächlich ein Vergnügen. Nur manchmal ein kleines bisschen depremierend.

    Der Igel ist übrigens ganz in meinem Sinne tätig. Eine Hand wäscht die andere oder so ähnlich.

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