Sag mir, du lustiger Freund, wer du bist

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Gerade die größte diplomatische Leistung meiner beruflichen Laufbahn halbwegs mäßig gemeistert. Ein Mensch, mit dem ich, nennen wir es ehrenamtlich, zusammenarbeite, bat mich, ihn bei seinem Demnächstsupererfolgsprojekt, dem ganz großen neuen Ding, zu unterstützen. Ein Plagiat des Lebensfreude-Kalenders. Nie gehört. Ich müsse unbedingt bei ihm vorbei kommen und mir das Original ansehen. Na gut, bin ich dann, und ich weiss noch immer nicht, an welcher Front ich am meisten geschockt bin. Von der Idee, etwas 1:1 nachzumachen und anzunehmen, man könne sich da was vom Kuchen abschneiden. Von der Begeisterung für so einen Schrott oder von der Tatsache, dass sich offenbar 250.000 Menschen sowas an die Wand hängen.

Der Inhalt. 35 Seiten Sorgedichnichtlebeyolo. Angereichert mit geschmacklosesten Kitschfotos. Die Form. In Word erstelltes himmelschreiendes Nichtgrafikdesign. Für 7,80. Ich hab mich dann in hoher Kunst rausgeredet und vorgeschlagen, ich könne vor dem Druck ja noch einmal rasch draufsehen. Seitdem bekomme ich jeden Tag Mails mit Layoutentwürfen, die mich in meine Träume verfolgen. Ich möchte das nicht. Ertrage das nicht. Habe keine Zeit für sowas. Und verzweifle staune mal wieder an über die der Menschheit.

Helene Fischer. Ich les ja Boulevard, demnach war mir diese Dame vom Augenschein durchaus bekannt, anders als der hinreissenden Johanna Adorjan in ihrer höchst lesenswerten Erkundung in der FAZ. Sogar wusste ich von der Existenz des Superhits, wenngleich ich ihn bis vorvorgestern noch nie gehört hatte. Im Grunde ist mir das wurscht. Jede soll schön finden, was sie will. Nur rätsle ich, worin der Unterschied besteht. Zwischen Helene Fischer und all den Schlagerbardinnen, deren Geräusche man bei Eltern, Gesamtschulhausmeisterinnen und Bäckereifachverkäufern einst so vehement ablehnte. Was der Unterschied ist, sich einen Gartenwichtel oder den verpönten Zwerg an den Beetrand zu stellen (ja, ich hab einen, ganz ohne jede Ironie).

Seit ich dem inflationären Gebrauch des Wortes spiessig durch den F. beiwohnen musste, vermeide ich es. Allenfalls in Zusammenhang mit Geisteshaltung perlt es über meine Lippen. Kleingeist. Geiz. Vorurteile. Das ist für mich spiessig. Verblüffend finde ich aber, Gitte oder Moik spiessig zu nennen und sich für diese Fischer zu begeistern. Oder für so einen Kalender. Oder das mit dem Zwerg. Oder Heino nicht mehr, seit er Rammstein singt. Wie gesagt, im Grunde ist das egal. Aber ich freu mich, dass ich mich wieder wenigstens ein bisschen aufregen kann. Offensichtlich war ich kränker als ich dachte. Aber seit ein paar Tagen geht es besser. Juchei. Und die Zauberflöte in Bregenz hab ich mir auch angehört (und gestaunt, dass ich diese Oper praktisch immer noch auswendig kenne. 30 Jahre her). Das war volksnah im allerbesten Sinne. Der reinste Kindergeburtstag. Auf LSD. Wundervoll. Genau wie das Wetter grad.

15 Gedanken zu „Sag mir, du lustiger Freund, wer du bist

  1. speedhiking

    Die Kalendersache ist so heftig wie der Artikel lesenswert. Habe mir daraufhin H.F. angehört. Wollen wir das nicht lieber alles hinter uns lassen und uns durch die Nacht bloggen?

    Oder Schlager schreiben und reich werden. Ts.

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  2. Clara (Gast)

    Ein solches, lustiges „Vogel-Elch-Drachen-Foto“ wie oben in den Kalender gemogelt – das Wissen darum würde meine Lebensfreude und Heiterkeit ungemein steigern. Ließe sich da nicht was machen, wo Sie schon am Hebel sitzen??

    Und „spiessig“ – irgendwie fällt mir bei den Beispielen auf, dass sich der Begriff wohl besser auf vorhergehende Generationen als auf die eigene anwenden lässt. Sozusagen die eigene Generation als der blinde Fleck der Spiessigkeit. So als Theorie.

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  3. montez

    In diesen Kalender werde ich mich keinesfalls involvieren. Sie dürfen sich aber natürlich mein Vogel-Elch-Drachen-Foto gerne aufhängen ;)

    Das wird es wohl sein. Ich meine auch mal einen Artikel gelesen zu haben, in dem es um den Unterschied zwischen Billyvitrine mit Nippes und Schrankwand ging. Erscheint mir schlüssig.

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  4. Wiesel (Gast)

    Ohne hier selbst über ausreichend Eigenstatistik zu verfügen, lässt sich diese „auf“ oder „unter LSD“-Sache sicher auch auf andere Bereich ausweiten. Frau Fischer z.B. Oder der Kalender, der könnte hervorragend mit kleine Türchen versehen (das Prinzip ist ja bekannt) und jeweils mit entsprechender Tagesdosis bestückt werden. Berichten Sie weiter!

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  5. montez

    Ach, wissen Sie M. Speed, das ist es ja gerade. Ich schaffe es nicht, für Geld was zu machen, was ich scheisse finde. Wächst sich zunehmend zum Problem aus.

    Wir singen einfach so, ja?

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  6. montez

    Ihr Kalenderblatt irrt. Es muss heißen: „Ich verfüge über alle nötigen Mittel, um die anstehenden Aufgaben zu bewältigen.“ Aber das ist Ihnen beim Rauchen bestimmt schon eingefallen.

    PS: Grüßen Sie den Doktor!

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  7. speedhiking

    Noch richtiger: „… um die anstehenden Aufgaben an meinem Platz im Universum heute noch besser zu bewältigen!“

    Toll, gleich fließt die Energie in meiner Mitte noch besser, ich spür’s!

    PS: Erledigt! Der liest eh mit.

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  8. tikerscherk (Gast)

    Seit Jahren versucht ein Freund mich zu überreden viel Geld mit Kettenbriefen, oder einem von uns erfundenen Lama-Orakel zu machen.
    Meine Hemmungen, die Menschen derart über den Tisch zu ziehen sind einfach zu groß.
    Schaue ich mir nun den Lebensfreude-Kalender an, oder lausche dem Gesang der Frau Fischer, frage ich mich schon, ob ich nicht zu zimperlich bin.

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  9. speedhiking

    Text:
    „Ich verfüge bereits über alle Mittel, um die anstehenden Aufgaben anzugehen!“
    Bild:

    *gehe jetzt eine rauchen und nachspüren, um mir meiner Ressourcen noch bewusster zu werden!*

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