Archiv für den Monat: September 2012

Stubbenkammerstrasse

Hey Joe, sage ich und muss dabei kichern. Deshalb versuche ich es nochmal. Hey Joe, sage ich also, spielst Du mir mal was vor irgendwann? Joe ist nämlich Bassist und sein Kontrabass steht im Zimmer der Amerikanerin. Mehr so experimentell, soweit ich hören konnte. Vermutlich haben sie ein Verhältnis, oder hatten eins, seit die Amerikanerin bei mir wohnt, gehen die Experimentellen ein und aus. Lauter Verhältnisse.

Als Joe aufs Klo geht, versichern wir uns, dass es okay ist, wenn die andere ihn mitnimmt. Es ist schon hell draussen und reden können wir alle drei nicht mehr richtig. Ich gehe jetzt, sage ich, kann nicht leiden, bei den Letzten zu sein, um die herum aufgstuhlt wird. Immer Bassisten, hunderte von Bassisten habe ich getroffen, wer braucht die eigentlich alle?

schrieb ich auf am 20.07.2001. Bevor ALLES anders wurde. Die Amerikanerin hat inzwischen ein paar Jahre in Marseille gewohnt und ein Kind von einem nichtsnutzigen Franzosen bekommen. Jetz erzieht sie allein in Berlin. Kurz vor dem grossen Finale habe ich sie in unserem Hof (vom F. und mir) getroffen, sie kam von einem Kindergeburtstag. Ich war so perplex, dass ich kurz vergessen habe, dass wir nicht mehr miteinander sprechen und hab ihr meine Visitenkarte gegeben. Meine Visitenkarte. Ich war wohl völlig neben mir. War ich auch, mitten aus einer hässlichen Szene getürmt. Ts. Joe ist sicher wieder in Kanada. Kommt mir vor, als wäre das tausend Jahre her. Oder noch länger.

Neapel sehen

wollte ich schon lange, aber irgendetwas kam immer dazwischen. Diesmal (fast) nicht(s). Nach lebhafter Überfahrt marschierte ich von Beverello gleich zielstrebig Richtung Vesuv.

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Im Reiseführer hatte ich die vielversprechende Beschreibung der Capella Sansevero gelesen: „… in der Krypta das Zeugnis eines makaberen Experiments: das versteinerte Arteriengeflecht zweier Toter, denen der wahnsinnige Raimondo bei lebendigem Leib eine verhärtende Flüssigkeiten in die Adern gespritzt haben soll.“ Das hört sich doch sehenswert an. Hätte ich einmal ordentlich gelesen, hätte ich gelesen: geöffnet Montag und Mittwoch bis Sonntag. Also nicht Dienstag.

So gab es dann stattdessen Cappuccino und Neuorientierung. Glücklicherweise haben die Neapolitaner ja noch mehr verwegenes Zeug, so auch das Blutwunder. Also auf zum Duomo San Gennaro.

Reliquien und Märtyrer, das ist was für mich. Besonders gut finde ich all den pompösen Zierrat um das bisschen Knochen und sonstwas. Drinnen gab es hinter Gitterstäben zwar jede Menge heilige Einzelteile, so richtig gut sehen konnte ich sie aber nicht. Keine Ahnung, ob die berühmten Ampullen dabei waren.

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Der Dom ist schön. Aber ich sollte wohl für eine Weile keine Kirchen mehr anschauen. Ich scheine etwas übersättigt.

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aus dem Dommuseumsfenster

Auf dem Weg dahin, bin ich vorher noch hier reingeraten: Napoli Sotteranea

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und tatsächlich, teilweise schiebt man sich geduckt und seitwärts bei Kerzenlicht durch die engen Gänge (noch eine Woche die hiesige Verpflegung und ich wäre stecken geblieben). Ist nichts für Phobiker.

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Bis zum zweiten Weltkrieg wurde dort unter den Häusern der Müll entsorgt. Als man die Katakomben dann als Luftschutzbunker nutzen musste, wurde einfach ein Betonboden drüber gegossen. Unter unseren Füssen also fünf Meter hoch Unrat. Raffiniert. Und Praktisch. Ist nur für heute blöd wegen der Touristen.
Das mit der Abfallentsorgung scheint ein traditionelles Problem zu sein.

Überhaupt der Müll. Es wird mir auf ewig rätselhaft bleiben, warum man in eine Natur, der man sich zutiefst verbunden fühlt (entnehme ich den limitierten Gesprächen, die ich hier führe), lauter Zeug wirft. Ich bin nicht einen Weg gegangen, wo nix rumlag. Ne. Oder räumt das bei uns immer einer weg?

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Als ich raus war aus der Unterwelt, habe ich entlich meine erste Granita gegessen, über die ich bei Herrn Steingarten so ausführlich und kurzweilig gelesen hatte.

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Hab sie nicht ganz geschafft. Den Rest erzähl‘ ich dann mal. Demnächst. Erst mal ausruhen.

Nur wer bereit zu Aufbruch ist und Reise …

… mag lähmender Gewöhnung sich entraffen

sagt Herr Hesse, der alte Laberkopp in seinen Stufen, an anderer Stelle (ja, der Zauber und so) unermüdlich bei jedem Kollegenabgang von meiner schwungvollen Exchefin Frau D. zitiert, und damit unverhohlenes Augenrollen in der Schar der Zurückbleibenden auslösend. Aber recht hat er ja.

Also dieses Jahr war ich so viel verreist wie noch nie in meinem Leben, auf meiner makellosen Haut fusioniert dänische mit schottischer, österreichischer, spanischer und italienischer Bräune. Braun. Ich? Jawohl! Echte Schattenbräune.

Reisen ging mit dem F. eigentlich ziemlich gut, allein dass es fast nie zum Reisen kam, denn der F. pflegte seine üppige Apanage unmittelbar in Essen und Bücher zu investieren. An sich kein unsympathischer Zug, von dem natürlich auch ich profitierte.

Zudem verfügt die Familie des F. über verschiedene Landsitze, so dass er auch ohne Geld nicht auf Auslandsaufenthalte verzichten musste. Diese Klein- oder eher Grossode sind auf das Gekonnteste mit ortsüblichen Preziosen eingerichtet. Von den (modernen) Bildern an der Wand bis hin zum zauberhaften Garten könnte das Ganze dem Hirn einer begabten Wohnzeitschriftsredakteurin ebenso entsprungen sein. Ergänzt mit dem nötigen Maß an Chabby Chic (wie das Abgeschabte ja seit einiger Zeit bei eb*y heißt), um nicht steif und posh zu sein. Die kleine Marie sagte dazu mal: Weisst Du, so Leute, die das Spülmittel in einen Porzellanspender umfüllen. Genau so. Und es ist wirklich wahrhaftig schön da.

Dennoch erlaubte ich mir alle Jahre wieder, mehr oder weniger vorsichtig vorzuschlagen, mal woanders hinzufahren. Um mit meinem Vorstoss sofort einen Schwall der Empörung über meine Undankbarkeit zu entfesseln.

Zufällig war ich einstmals mit dem Kommunisten in einem der Landsitzländer für ein paar Wochen mit dem Rucksack unterwegs. Und das war in gleichem Maße zuviel Abenteuer (zum Beispiel nachts bei einem Ausflug zu den Marabouts mit einem völlig betrunkenen arabischen Bekannten in der Sahara mit dem Allrad in einer Düne stecken bleiben, der daraufhin mit seinen Freunden im zweiten Wagen davonfährt, um Hilfe zu holen. Und erst im späten Morgengrauen zurückkehrt. Ich hatte bereits mit allem abgeschlossen). Wie zuwenig mit dem F., dessen Abenteuerlust sich darauf beschränkte, in der Hauptstadt das teuerste aller Restaurants am Platz zu besuchen, dass sich in einer umgebauten Moschee befindet. Was zugegebenermaßen ein tolles Erlebnis war.

Sie sehen, man kann es mir nicht recht machen. Deshalb ist nix falsch dran, dass ich nun mal ganz allein entscheide.

Ach so, und das Yoga hab ich geschwänzt. Steige stattdessen auf Berge und gehe zum weltbesten Shiatsumassagenmann. Der richtet’s.

Famous poems rewritten as limericks

Die Luft war stiel,
Der Apfel fiel
Und milde Sonne half dazu
Erledigte das ganz in Ruh‘,
Jahr für Jahr das gleiche Spiel

nach Friedrich Hebbel Herbstbild.

oder auch

Der Apfel fällt nicht weit vom Stamm
Das Herbstlicht kleckert über’n Damm
Die Spinne webt ihr Netz geschickt
Mit Tautropfen wird es gespickt
Die fallend werden dann zu Schlamm

einfach aus Spass. Limericks, total vergessen.

Ich übe noch, ist ja sehr kompliziert, in echt mit:
(da)dadida dadida dadida(da) (a)
(da)dadida dadida dadida(da) (a)
(da)dadida dadida(da) (b)
(da)dadida dadida(da) (b)
(da)dadida dadida dadida(da) (a). Zum Beispiel. Herjeh.

Inspiriert von der Wiesenraute. So liebe ich das Internet. Grossartig.

So, jetzt wieder Sommer.

Alles wie immer

Mittagessen in der Strandbutze (alles grossartig, nur wo sind die HOLZSTÜHLE geblieben? ruft die Fanatikerin.)

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der Rest ist perfekt. Tintenfisch, mein widerspenstiger Freund

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die Farbe meiner Fussnägel

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der Aperitif (lässt sich jahreszeitlichbedingt nicht mit dem Sonnenuntergang synchronisieren)

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der aber tut, was von ihm erwartet wird

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und dann macht die Telefonkamera endgültig schlapp, was anderes geht aber für hier nicht, denn ich hab‘ wieder mal das Kabel vergessen.

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Bis bald.

Caprisonne

Nachdem ich also nun eingeknickt bin, im Kampf gegen die Windmühlenflügel von A*rBerlin

„… wie ich eben schon Ihrer sehr freundlichen Servicemitarbeiterin mitgeteilt habe, wird dies die letzte Reise von mir und meiner Familie mit A*rBerlin sein. Durch ein Versehen war der Name meiner Mutter auf dem Flugticket nicht korrekt, statt Montez-Schulze steht dort nur Montez. Alle anderen Angaben sind vollständig identisch (Geburtsdatum, Adresse etc.). Auf telefonische Rückfrage bekam ich die Information, dass neben der Namensänderung auch ein vollständig neues Ticket bezahlt werden muss. Dieses halte ich, mit Verlaub, für eine ausgesprochene Unverschämtheit. Der gebuchte Platz im Flugzeug ist von der ERGÄNZUNG des Namens völlig unberührt, es ist also komplett unnachvollziehbar, warum hier ein neues Ticket erworben werden muss. “Das System kann das nicht anders.” Ja, dann muss man halt mal kulant sein. Und dann stimmt was mit dem System nicht. Ich jedenfalls wundere mich nicht mehr über die wirtschaftliche Situation Ihres Unternehmens, welches ich ausgesucht hatte, um nicht mit einer Billigairline fliegen zu müssen. Wenn ich aber genauso behandelt werde wie dort, sehe ich keinerlei Anlass, das beim nächsten Mal nicht zu tun. Oder bei der altbewährten L*hansa zu buchen. Mit Ihnen jedenfalls nicht mehr. Empörte und verständnislose Grüße, montez”

werde ich morgen die Greisin in den Rollkoffer packen und mich auf den Weg dahin

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machen. Dort werde ich den Vesuv besteigen, durch das alte Gelumpe von Pompeii streifen, im Meer schwimmen und ab und zu der Mutter in ihrem Thermalbecken zuwinken. Den Abend werden werden wir so beginnen,

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und den Morgen, ich, ja, MIT YOGA!!!! Haha!

1990

Und da ich ja momentan auf der Memory Lane wandle, passt dieser Film Berlin Prenzlauer Berg 1990 von Petra Tschörtner wie die Faust aufs Auge. Er hat mich sehr berührt.

Traurig, wie viel Heimat die Menschen verloren haben. Nicht die Diktatur DDR (keiner, den ich kenne, trauert dem System nach) vielmehr die vertraute Umgebung, die Eckkneipe, die Subkultur, die Kollegen, die Rituale. Heute nur noch ein: „Weisst Du noch?“

Vieles kenne ich noch selbst vom sehen, und vieles kommt mir vom hören bekannt vor, fast alle meine Freunde damals waren aus Ost-Berlin, die Wende war das ewige Thema. Und ja, der Kommunist ist auch im Film. Demonstrierend (in) seine(r) ganze(n) Schönheit.

via Don Dahlmann.

Dann ist’s aber mal gut mit früher.