Fast wie ein Zauberberg #04

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Fußball. WM. Ich hatte schon am Telefon begonnen, bisschen beleidigt zu sein, weil ja, Fußballschauen, gibt’s denn da TV? Der F. interessiert sich nicht für Fußball, ist es aber international und Großereignis, betreibt er auch das wie alles andere: Akribisch, gründlich, kompromisslos. Dass es im Gutshaus Ludorf Fernsehen gibt, im Wohnzimmer, und ein Slowfoodrestaurant, kann ihn vorerst besänftigen. Da soll es hingehen.

Ich geh spazieren, der F. starrt mit anderen Partnern auf den Ball, aber inzwischen bin ich voll heiterer Gelassenheit, sicher vom Qigong. Schön hier. Wir treffen uns nach dem Spiel am Strand, die Badestelle ist nix, wir laufen los durch einen kleinen Wald. Über eine Wiese, eine Riesenwiese, die Sonne knallt, die Wiese will nicht enden, die Mücken schwärmen, der F. nörgelt und meckert ohne Unterlass, während wir uns unseren Weg durchs Wiesendickicht bahnen. Ich lächle. Die perfekte Badestelle. Weit draußen ein Mann, das Wasser bis zum Bauch. Also raus aus den Klamotten, rein ins kühle Nass (hab ich das jetz echt geschrieben? Juhu!) und der F. gerät außer sich. Es riecht modrig. Es ist mehr als seicht. Man watet und der Schlamm geht einem bis zum Knie, gefühlte Watte. Das Wasser bis zum Bauch, stimmt, weiß ich doch, ein Pfützchen, diese Müritz. Er schimpft und motzt und flucht, ich lächle, gar nicht schlecht so eine Kur.

Also alles rückwärts, rein ins Auto und von einem See zum anderen, die Stimmung oszilierend, und dann finden wir einen schönen klaren kühlen, der F. wird friedlich und ich lächle. Wir machen Späßchen, Liebe und abends gibt es kalte Suppe, Müritzfische und Sommerfrüchte mit Sorbet, ist alles wunderbar.

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Dann ist er wieder weg. Ich steige auf den Kirchturm, so eine schöne Kirche, nicht restauriert, ich fahre mit dem Bus wo anders hin, umrunde neue Seen. Klettere in Ruinen. Gehe ins Konzert und zeitig schlafen. Es kommt noch mehr Besuch aus B. Baden, essen, Boot fahren. Von allem weg sein. Die Zeit vergeht, ich spreche kaum noch. Stehe früh auf und stecke Hölzlein in kleine Löchlein unter Zeitdruck, werde kein bisschen besser. Frau K. riecht nicht mehr nach Rauch, ich rauche manchmal abends, heimlich mit der Psychologin, am Steg, und zweimal kaufe ich eine Flasche Bier, die ich beim Rauchen trinke. Merkwürdig, dass es in der Anstalt Alkohol zu kaufen gibt. Überhaupt, alles merkwürdig hier, eine fremde Welt, die ich neugierig betrachte, und die mich neugierig betrachtet wie ein unbekanntes Tier. Mache klaglos alles mit, bis vier, dann hab ich frei und laufe schnell davon.

Auf den Wegen zwischen Hüpfkurs und Ergo rate ich Kunst, die Flure sind gestaltet mit gedruckter Klassischer Moderne in roten Rahmen, alle blaue Phase, da Magenta und Gelb komplett verschwunden sind. Bald kann ich sie auswendig, gute Orientierungshilfe, zum Schwimmbad beim Otto Müller links. Den Chagall in meinem Zimmer (blau in blau) hab ich direkt am ersten Tag in den Kleiderschrank gestellt, sowieso alles ein bisschen hin und her geschoben und immer frische Wiesenblumen auf dem Tisch. Einmal höre ich die Zimmermädchen, wie sie sich freuen, dass man so eine Kammer auch gemütlich kriegt. Ich will nicht mehr zurück nach B. Einfach in meiner Klause bleiben. Tisch, Stuhl, Bett, Fenster. Ernähren kann ich mich von Seetang, gibt es sogar zu kaufen, im Dorf, im Fischgeschäft.

Die anderen Folgen gibt es hier.

6 Gedanken zu „Fast wie ein Zauberberg #04

  1. kid37

    Das Ludorf sieht aber hübsch aus. Sogar mit „Hochzeit“, falls einem danach sein sollte. Und Badewannentraum für die Frauen. Nörgeln und Fußball, Sie waren aber nicht mit mir da oder? An die Müritz habe ich oft gedacht, als ich meine Kajakpaddel-Phase hatte. Das wäre auch so ein weiter liegendes Ziel, dort wieder hin zu kommen. Im März bin ich auch wieder dran fürs Hölzchenspiel, fällt mir da ein. Ich habe aber nicht geübt.

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  2. montez

    Sie meinen die Damen können auch innen ein Bad nehmen, während die Herren Fussi glotzen? Sind Sie auch so’n Nörgler? Ach du jeh.
    Und danach dann Hochzeit.

    Ich bin mal über die Müritz gepaddelt (das war noch mit dem Kommunisten), gefühlte 1000 Seemeilen. Kann ich nicht empfehlen, den Wasserweg dahin schon eher.

    Das Hölzchenspiel. Wir sollten wirklich mehr üben. Angeblich hilft das ja.

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  3. kid37

    Es ist ja so. Frau rennt voran, oh, schau, diese bunten Blümchen! Mann: Halt, Vorsicht, Giftefeu! Frau: Schau, diese urige Rinde an diesem umgestürzten Baumstamm! Mann: Halt, Vorsicht, das ist der Schwanz eines Krokodils! Frau, macht sich nackig und springt ins Wasser, komm doch auch! Juchhu! Mann: Halt, Vorsicht, Stacheldraht! Blindgänger! Tückischer Grund! (denkt: wo ist das Rettungsboot? Wie ging noch mal die Beatmungstechnik? Wo ist mein Ledergürtel, falls ich eine Blutung stoppen muß? Wo die Telefonzelle, wenn ich den Rettungshubschrauber alarmieren muß? Wo mein Taschenmesser, wenn ich eine Lichtung freischlagen muß, damit der Heli landen kann?) Alles, während die Frau schon plantscht und sich im Evaskostüm der Sonne entgegenreckt. Und das ist nur ein harmloses Beispiel.

    Was meinen sie, was das für ein Streß ist? Kein Wunder, daß Frauen im Schnitt fünf bis sieben jahre länger leben. Männer müssen vieles bedenken, das macht nörgelig. (Und dann „Natur“, während daheim die Mannschaft ein schweres Spiel hat!) Ich selbst habe das aber gut im Griff, seit ich mal mit einer schönen Dame liiert war, die sehr unzufrieden war. Immerzu just das „falsche Restaurant“, nicht das Essen auf der Karte, „nicht schon wieder beim Reichelt“, nicht schon wieder auf den Bus warten, die Plätze sind falsch, die Möbel stehen falsch, der Partner ist… War natürlich ganz, ganz toll alles, weil ich immer sagte, Schatz, solange die Liebe nicht falsch usw. Jedenfalls, seither weiß ich, wie entspannt ich im Grunde bin. Aber auch vorsichtig! Und strukturiert.

    Ich überlege ja, wieder mehr gezielt Gitarre zu spielen und vielleicht etwas Klavier. Das trainiert die Finger auch.

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  4. montez

    Ach herjeh, davon ahnte ich nichts. Ich dachte immer, was trödelt und zaudert der bloss wieder so. Wie ungerecht. Und natürlich, vor Krokodilen sollte man immer auf der Hut sein und Mecklenburg ist ja sehr berüchtigt (ich wähnte die Gefahr bislang allerdings immer von woanders). Ich bin gerührt, retrospektiv, über dieses Ausmaß an Fürsorge. Ach, was hab‘ ich ihm Unrecht getan.

    Ich bin auch nicht ganz unnörglerisch, allerdings, seit ich den F. kannte, ebenfalls deutlich weniger. Nicht übel, wenn man manchmal in den Spiegel sieht. Ich hab mir einfach angewöhnt, die Hälfte meiner Aussetzungen runterzuschlucken, das reicht dann dicke als kritische Auseinandersetzung.

    Bitte Gitarre. Und Klavier. Beides wundervoll. Wenn gekonnt.
    (Der F. ist ein sehr guter Klavierspieler)

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