Archiv der Kategorie: Früher war alles besser

mal so mal so

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Als frühreifer Teenager der 80er Jahre habe ich völlig sorglos ein Vielzahl der damals existierenden Jugendkulturen gestreift. Nachdem einer ersten verirrten Nenaplatte, war ich verliebt in die grosse Schwester meiner damaligen besten Freundin und die war eine Waverin. Deren Musik (den Text von Our Darkness kann ich noch immer auswendig) haben wir heimlich auf Cassette überspielt und sind nach Zürich gereist, um dort bei Booster spitze Schuhe zu kaufen. Den Kopf hielten wir dabei schief, wegen unserer asymetrischen Frisuren. Die Schwester ist dann nach London gezogen, wir haben etwas die Orientierung verloren und irrten noch ein bisschen bei den New Romantics herum. (Kein Frisuren-Film: Wir Kinder vom Bahnhof Zoo)

Die Peergroup schwenkte kollektiv zu Rockabilly, ich zog die mütterlichen Petticoats aus der Mottenkiste und liess mir ein Kleid nähen (rot mit Polkadots, jawohl, hab ich noch), ausserdem gab es den passenden Schweizer Verehrer mit altem Amischlitten. Musik: Stray Cats. Schuhe zu Hosen: Creepers vom Booster in Zürich. (Film: Absolute Beginnes tststs …, The Wanderers)

Aber so richtig mochte ich dieses traditionelle Getue nicht, da kam dann Psychobilly gerade recht. Ich kaufte also neue Schuhe bei Booster, diesmal meine ersten DocMartens und schupste mit bei The Cramps und The Meteors-Pogo, vorallem in einem Jugendhaus im Allgäu (da haben sie alle gespielt). Der eine oder die andere kam in dieser Zeit vom Weg ab (in diesem Fall eben nicht vom rechten) und verlor auch den Rest Frisur. Es gab immer mehr Streit und immer mehr Skinheads. Das gefiel mir nicht, und ausserdem trat dieser Vespafahrer in meinem Leben, der trug einen Parka und das Haar eher lang (und richtiger Ska war auch überhaupt viel toller). Tatsächlich hielt aber weder die Liebe zum Parkarträger noch zu den Mods im Allgemeinen besonders lange vor, nur die zu Vespa und Großbritannien ist geblieben. (Film: Quadrophenia)

Dann wieder rückwärts: Auf das Open Air in Ulm 1990 bin ich nicht etwa wegen Bowie sondern wegen der Pixies, New Model Army und Midnight Oil gefahren (Bowie war dann aber über alles erhaben). In der Schuldisko bekämpften wir beim Plattenauflegen mit Sisters of Mercy die R n‘ B-Abteilung, in Tübingen habe ich einer verquollenen, aber noch immer faszinierenden Anne Clark gelauscht (den Text von Our Darkness kann ich noch immer auswendig). Bei der Kleidung schlug sich das mittlerweile kaum noch nieder. Die war eh schwarz. Und es wurde endlich politisch, gaaaanz links, fast ein bisschen zu weit.

Danach gab es ein kurzes Hippieintermezzo mit Klimperklimperkettchen überall und Henna in den Haaren (und einer Sprachreise nach Nimbin).

Mit Berlin kam endlich ein bisschen Punk. Palituch und Bomberjacke (billig!), in besetzten Häusern rumhängen, Antifademos und abgebrochene Mercedessterne (aber da war ich fast schon erwachsen ;) Musik: Krach in modrigen Kellern. (Film: Sid & Nancy)

Danach wird es recht unübersichtlich.

Wir Provinzhühnchen hatten jedenfalls kaum Ahnung, wem oder was wir da nacheiferten (Internet gab’s nicht und an Informationen war schwer ranzukommen, der Südkurier so wenig das richtige Medium wie die Bravo). Von jeglichem ideologischen Unterbau befreit haben wir uns in erster Linie bemüht, dem Provinzmief zu entgehen und irgendwie aufzufallen.

Ich war 13, als meine damalige beste Freundin und ich uns mit heissen Nadeln gegenseitig Löcher in die Nasen gebohrt haben, um dann trotz überwältigendem Protest (sehr kurz) ein kleines Glitzersteinchen im Gesicht zu tragen (ich hab dann aber schnell kapituliert). Von den 25 Ohrlöchern ganz zu schweigen. Hui, das Aufsehenerregen war damals nicht schwierig.

Netzgeschichten

Nach über zehn Jahren ist es also soweit. Ich schreibe (mal wieder), anstatt zu nur zu lesen. Ob das gut geht …

Wie habe ich sie geliebt, die wunderbaren neuen Spielwiesen des Internets, auf denen ich unbekannt und ziemlich unbemerkt unter den idiotischsten Pseudonymen herumgetollt bin. Modemzeit. Was ein Blog ist wusste ich nicht. Gab’s das?

So schrieben wir gemeinsam auf lange Klopapierrollen, was wir für Literatur hielten, stritten uns, lobten uns und übten öffentlich, irgendwann gingen wir Bier miteinander trinken und die eine und der andere landeten im Bett. Die neuen Internetverbündeten.

Und erst da war es vorbei mit der Unschuld: Wir laden Sie ein in unserem tollen Literaturforum zu schreiben, aber wenn, dann nur unter Klarnamen. Rumms. Ein paar letzte Zuckungen noch, nachzulesen im Forum der 13.

Die einen sind heut Schriftsteller (manche waren es damals schon), die andern kritzeln immer noch auf’s Klopapier, manche gehen noch zusammen Bier trinken und zumindest ich mit keinem mehr ins Bett.

Ich weiss auch nicht. Warum es damals so abrupt seinen Reiz verlor, als man dann wusste, wer ich bin. Wahrscheinlich war es wie später bei Frau Fischer, man erzählt den Unbekannten, die sich keine Sorgen machen, nicht irritiert sind oder beleidigt. Vielleicht war ich dort mehr ich selbst als anderswo.

Also jetze hier. Muss erst mal wieder warm werden.