Archiv der Kategorie: Früher war alles besser

Bygones

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Almut Klotz ist gestorben. Sie war großartig, sie war klug und poetisch, sie sang für uns und gehört für mich zu der Zeit auf diesem Bild oben. Da sitzt rechts meine beste Freundin mit der Amerikanerin, die Dame links kenn ich nicht, die wollte aber offenbar dringend auch aufs Foto. Da hingen wir hinter der Kulturbrauerei rum, in lauter Gelumpe, und warteten auf die grosse Nacht. Eine neue grosse Nacht. Es war immer Sommer, wir mussten immer Kohlen in den vierten schleppen, und ich bekam immer Ärger mit I., wenn der Ofen ausging, denn ich war immer beim Kommunisten, der hatte eine Gasetagenheizung. Wir schrieben immer Botschaften auf die kleinen Blocks, die neben allen Türen hingen, wenn keiner da war, Mittwoch um zehn!, das war keine Frage sondern eine Ansage, absagen ging ja nicht, so ohne Telefon. Alle konnten auf alle Dächer und von dort sowieso überall hin. Alle machten Kunst. Alle waren wild, frei und glücklich. Und so jung.

Almut Klotz ist gestorben. Mit einundfünfzig.

Der Treppenwitz

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Wann immer ich das Wort Treppenwitz irgendwo lese, fächert sich jenes Szenario vor meinem innneren Auge auf: Die Schulze aus dem dritten und die Schmidt aus dem zweiten, auf dem Absatz zwischen ihren Wohnungen neben einer picobelleo abgestaubten Sansevieria stehend, in unterschiedlich gemusterte Kittelschürzen gewandet, stecken die Köppe zusammen. Die Schulze (oder die Schmidt?) zischelt Kennste den schon? Den Rest ins andere Ohr. Und dann kichern beide und sehen sich verstohlen um.

Es riecht nach Bratkartoffeln und ein bisschen nach Bohnerwachs. Aus der offenen Wohnungstür aus dem zweiten wehen ein paar Takte Volksmusik herauf. Die Tapete ist mit Glitzer. Auf jeden Fall ist Sommer.

Und jetzt gehe ich meinen Besuch machen.

Lieber Heiner,

raps

ich mochte das letzte Buch, hab ich das noch gesagt? Das Manuskript ist bestimmt noch irgendwo, ich bin sicher, ich habe es nicht weggeworfen. Nicht wie die vielen Emails, die das Universum unwiederbringlich verschlungen hat. Hätte ich veröffentlichen können. Titel: Hunderte unverstandener Briefe. Bisschen blöd, dass Du mir erst nach so langer Zeit gesagt hast, dass Du keine Ahnung hast, wovon ich rede. Konnten wir auch nicht mehr klären

Es ist Pfingsten, die Sonne scheint und sie brummen überall rum, die blöden Motorradfahrer. Und ich denke an Dich. So wie ich an Dich denke, wenn ich den Bachstelzen bei der Arbeit zusehe. Das ist nicht so selten.

2002. Wir wetten, dass ich die Kellnerin rumkriege, als sie dann an der Tischkante hängt und mir ihre Lebensgeschichte erzählt behältst du die Fassung und schiebst es auf meinen stark ausgeprägten männlichen Anteil. Sie studiert Literaturwissenschaften, aber ihre Silhouette, da sind wir uns einig, ist tadellos. Du bist nicht beleidigt. Wegen des Misstrauens, und wir beschwören die Liebe und den grossen Abend, und ich die Grenzen, das macht nichts denn es fühlt sich gut an, so ohne Strategie. Ein Vergnügen.

Ich weiss nicht, ob Du gelogen hast. Und wenn, dann war es eine wunderbare sensible elegante Lüge. Du schuldest mir noch 8 Öre für die letzten vier Tequila. Ich schulde Dir noch eine Antwort wegen Havanna. Das ist jetzt schwer, weisst Du. Und anders. Wenn ich nur wüsste, wohin ich sie schicken soll.

Dieses ganze Vermissen bringt zwar nichts, das kann man schon mal sagen, weil das Leben schreitet fort, ohne Rücksicht darauf zu nehmen.

Lange Nächte im Luxus. Heute vermute ich, Du konntest rein gar nix anfangen mit meinem Berliner Bohèmescheiss. Aber warst ja ein höflicher Mensch. Und sehr charmant, wie Du Dir mit Deinem großen weissen Stofftaschentuch den Schweiss von der Stirn getupft hast.

Elf Jahre ist das schon her. Fehlst.

Alte Buchstaben

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Samstag habe ich Post bekommen, 214 Seiten ausgedrucktes gemeinschaftliches Insnetzschreiben, 13 Jahre alt. Ich habe jetzt bis S. 74 gelesen und: Wie jung wir waren. Wie albern, ernst, oberflächlich, boshaft, maßlos, nachdenklich, brutal, redselig und ungestüm. Was für ein Dokument.

Und was bin ich für eine betuliche Trutschelkuh geworden. Mit Rilke und so.

Altersweisheiten

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© Ulrike Fritsch: Zwei geräucherte Fische auf rotem Teppich

Manchmal komme ich für einen Moment auf die Idee, ich sei viel vernünftiger und weiser als vor 25 Jahren. Dann behaupte ich vernehmlich, ginge ich heutzutage zur Schule, ich würde mit unendlicher Begeisterung, Engangement und Fleiss dieses großartige kostenlose Angebot zur Bildung wahrnehmen. Denn inzwischen weiss ich ja: Lernen ist toll. Hat man was fürs Leben.

Und nu rate mal, wann ich üblicherweise meine Italienischhausaufgaben mache? Ja, genau, zwei Stunden vor Kursbeginn (Kurs=teuer). Dass ich sie nicht von der L. abschreibe, ist eigentlich der einzige Unterschied zu früher. Und wenn ich nicht französisch parlieren könnte wie verrückt, dann wäre ich auch noch vokabelmäßig voll aufgeschmissen.

Das Bild steht in keinerlei inhaltlichen Zusammenhang zu dieser Information.

Hafennächte

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Jaja, das ist in B. Mit ohne Verkleidung. Und ohne uns. Und ohne Hafen. Aber mit Nacht.

Früher wurde auch bei uns nie ohne passende Kleidung gefeiert. Einmal, Mitte der 90er in Köln gab es die Hafennächte. Ich ging, wie immer nicht im Kleid, als Glücksfalschspieler mit Borsalino und Bärtchen (ich gehe immer als Mann, da kann ich meine maskuline Seite in Ruhe ausleben). Wie immer wurde viel getrunken, anderes Zeug konsumiert, getanzt und der eine oder die andere fiel ein bisschen aus der Rolle. Es gab eine Karaokebühne, von der ein paar Festbesucher gewaltsam entfernt werden mussten. Ich sang mit der Schauspielerin Stars shining bright above you, was leidlich zu meiner Stimmlage passt, vermutlich aber trotzdem nicht sonderlich hübsch anzuhören war. Seis drum.

Und dann. Dann, am späten Abend betrat eine so wunderschöne hinreißende Person den Raum, dass ich fast vom Barhocker fiel. In einem langen schlauchigen Kleid, mit exotischen Blumen bedruckt und einer Orchidee im Haar. Ich war erschüttert. Und angespornt. Und habe sie erobert und sie ist noch immer mein.

Gerade ist sie abgereist, mit den zwei wilden Blagen, das Töchterchen hat die selben besonderen grünen Augen mit einem schwarzen Ring um die Iris, der Sohn sieht seinem Vater ähnlich. Die Kindsmutter ist jetzt fünfzehn Jahre älter, ich auch übrigens, und das Leben hat uns beide ein bisschen gebeutelt, so im normalen Rahmen. Sie hat das gleiche Händchen für bescheuerte Männer wie ich. In vielen Dingen sind wir uns ähnlich, treffen Entscheidungen selten aus Vernunftgründen. Und landen dann in mehr oder weniger grossem Schlamassel. In dem wir viel zu lange verharren.

Ich schaue sie noch mit dem gleichen Vergnügen an. Die wunderschöne hinreißende silberblickende Neuköllner Freundin mit der Whiskystimme. Sie wollte eigentlich als Matrose gehn. Hat sie gestern erzählt. Ob das dann auch was geworden wäre mit uns?

Seinerzeit

Und wem das hier grad alles zu posh ist, für den hätte ich einen sehr langen und sehr alten Hut. Aber Vorsicht, da wird viel geflucht und es fliessen allerhand eklige Sekrete. Zumindest zu Anfang. Später wird es etwas ruhiger. Und machen Sie bloss das Fenster schmaler, sonst ist das ja unlesbar: Der Lischke. Trennungsschmerzverarbeitung in den späten 90ern.
Ähnlichkeiten mit lebenden Personen sind natürlich reiner Zufall.

An den Kommunisten denke ich oft gerade. Und hätte ich nur den Theaterwissenschaftler geheiratet. Das bisschen Borderline.

Es schneit. Wie verrückt.

Jimmy Coopers Identitätskonflikt

Gestern Abend alte Freunde, Bier, Chips und Quadrophenia (Weihnachtsgeschenk). Merkwürdig, so einen mal wichtigen Coming of Age Film nach 25 Jahren wieder mal anzuschauen.

Immer noch toll: The Who. Und die Steilküste von Brighton (nächstes Mal).
Rätselhaft: Diese Wut auf die Großen und alles was mit ihnen zusammenhängt (die sind aber auch alle schrecklich und blöd da). Klar, die Großen sind wir jetzt selber und machen brav mit, mehr oder weniger. Das Gefühl des Fremdseins im Vertrauten und das Ausmaß an Verzweiflung darüber. Ich weiss nicht mehr, ob ich mich früher in diesem Film besonders verstanden gefühlt oder ob ich mich mehr für die korrekte Modausstattung interessiert habe. Auf jeden Fall fiel mir ein, wie unvorstellbar es einmal war, dass einem egal sein könnte, welche Musik, welche Uniform und welche Fahrzeuge man unbedingt braucht. Ja, die Fahrzeuge. Diese aufgemotzten Roller erinnern mich heute schon sehr an die Mantas meiner Dorfjugend. Bis hin zum Fuchsschwanz.

Aber für einen ganz kurzen Moment fühle ich diesen durch Musik und Drogen aufgestachelten Zorn auf alles, der mich auch noch manchmal leise streift, wenn der schwarze Block an mir vorbei marschiert (ich auf dem Weg zum Bioladen). Wummwummwumm. Utzutzutz.

Und auch vergessen: STING spielt da mit. Haha.

Edit: Es geht doch um mich

Weil wohl Missverständnisse aufkamen: Ich hatte schon lange keine Angst mehr vor einem Mann Ich habe inzwischen Angst vor Handwerkern, die mich weder ernst nehmen noch sich Mühe geben, wenn sie für mich was machen (gegen Geld!), und wenn ich sie auf ihren Pfusch hinweise, anfangen mich anzuschreien, ich hätte ja sowieso keine Ahnung (so als Frau). Kommen Sie bloss nicht auf die Idee, so als Frau allein ein Haus zu bauen, wenn Sie keine Lust auf aggressive Klugscheissereien und Belehrungen haben.

Falls mal zufällig ein befreundeter Mann neben Ihnen steht, wird ausschliesslich dieser angesprochen und löst große Erleichterung aus (endlich ein Gesprächspartner), auch wenn der sich nur mit der amerikanischen Aussenpolitik auskennt. Natürlich gibt es auch Ausnahmen. Zwei.

Das was ich unten beschrieben habe, ist Jahre her. Aber mir sind sehr viele unangenehm bis bedrohliche Situationen eingefallen, die stattfanden als ich eine sehr junge Frau war, in denen ich mich hilf- und sprachlos fühlte. Und warum sollte es den jungen Hühnern heute anders gehen? Und warum sollte man das als normal hinnehmen müssen?

Sehr gut finde ich dazu den Text von Käthe Feinstrick.

Aus heutiger Sicht kann ich jedem Backfisch nur mitgeben, dass ein beherztes Verpiss Dich, Arschloch meist wahre Wunder wirkt. Kann ich inzwischen in mehreren Sprachen. Ich verreise ja gerne, alleine.

Und ich habe noch ein altes Textfragment parat zum Thema:
Spürt feuchten Atem in ihrem Genick, warme gerbrauchte U-Bahnluft. Dann erwartunsgemäss die fremde Hand wie zufällig an ihrem Hintern, lässt sie nicht zusammenzucken, nur vorsichtig ausholen. Rammt den Pfennigabsatz zwischen zwei Mittelfussknochen. Hässliches Geräusch. Kannste haben Herzblatt.
So wehrlos warse also doch nicht, die kleine Montez.
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Macht

Davon abgesehen, dass sicher die meisten Frauen den des Nachts hinter ihr die U-Bahnhoftreppen heraufsteigenden Mann als potenzielle Bedrohung wahrnehmen (wie schrecklich und ungerecht), jede mal von einem unter dem Mantel nackten Würstchen angewedelt wurde (was tatsächlich an Armseligkeit kaum zu überbieten ist, aber allein nicht sonderlich witzig) und wie viele beim Ausgehen, beim Nachhausegehen, beim einfach Gehen allerlei Handgreiflichkeiten und verbalen Bedrängungen ausgesetzt waren, gibt es auch noch diese fiese andere Variation von Dings, die ich in meinem kleinen Beispiel erzählen will.

Als der damalige NATO-Generalsekretär Manfred Wörner überraschend starb, war ich ein kleines junges hübsches Mädchen, gerade 22 Jahre alt. Es ist/war ungerecht, aber üblich, dass Dienstvillen (in diesem Fall die in Brüssel) mit Preziosen aus dem (ehemaligen) Wahlkreis eines Politikers ausgestattet werden. Nach dessen Tod muss der ganze Schamott wieder nach hause und man schickte mich, vor dem Abtransport alles in Augenschein zu nehmen. Am Flughafen stand eine NATO-Limousine mit getönten Scheiben bereit, um mich ins Sofitel (haha) zu schaffen. Als Palituchtragende Pazifistin eine unwürdige und ziemlich skurrile Situation. Aber ich wollte ja was anderes erzählen.

Am nächsten Morgen wurde ich von der Limousine mitsamt General oder Wasweissich zur Besichtigung des NATO-Hauptquartiers abgeholt. Na klar wollte ich das sehen, das Zentrum des Bösen. Der mit Orden geschmückte Wasauchimmer bemühte sich freundlichst und erklärte mir dieses und jenes, und bei jeder kurzen Autofahrt, die Wege sind ja dort sehr lang, rückte er ein wenig näher an mich heran. Wir speisten gemeinsam in der Kantine und ich fühlte mich zunehmend unwohl, was weniger mit der bescheidenen Verkostung und der Uniformhäufung um uns herum als mit den unverholener werdenden schleimigen Schmeicheleien und Tätscheleien des hohen Herrn zu tun hatte. Glücklicherweise musste ich dann in die Villa, wo ich mit Frau Wörner noch ein Tässchen Tee trank und ein wenig gepflegte Konversation machte, bevor ich die Gemälde begutachtete. Aber der Ordenträger hatte gedroht, mich dann zum Abendessen abholen zu lassen.

Die ganze Situation hat mich völlig eingeschüchtert. Ich war nicht in der Lage, ihm einfach zu sagen, er solle mich in Ruhe lassen. Dennoch habe ich es, all meinen Mut zusammennehmend geschafft, später aus dem Hotel in seinem Büro anzurufen, und das gemeinsame Abendessen abzusagen (seine Frau sollte wohl nicht dabei sein).

Mir wird heiß, wenn ich daran denke, dass ich ihm später noch geschrieben habe, um mich für die Absage zu entschuldigen. Ich. Habe. Mich. Entschuldigt.

Nichts Großartiges ist passiert. Er hat nicht mehr getan, als seine Hand auf meinen Oberschenkel zu legen. Vielleicht hat er sie noch ein bisschen nach oben geschoben. Aber diese ganzen Verflechtungen von Macht, Männlichkeit, Autorität, körperlicher Überlegenheit und bewusster oder unabsichtlicher Einschüchterung haben dazu geführt dass ich mich fühlte wie ein waidwundes Rehkitz. Die großmäulige neunmalkluge emanzipierte Montez. Ich möchte das nicht.