Archiv für den Monat: Januar 2013

Langer Atem

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Der frühe Schnee hatte auch Äste der Japanischen Kirsche abgebrochen. Der Lieblingsnachbar hat sie irgendwann später ordentlich abgesägt und ich habe ein paar Zweige mit rein genommen. In die Vase gestellt.

Jetz (!) bekommen sie Knospen. Nicht zu fassen. Wir haben beide beachtliches Durchhaltevermögen. Ob sie wohl noch blühen?

Südseeköniginnen

Für das kleinste der Patenkinder gestern versucht, das heissgeliebte Lieblingsbuch meiner Kindheit zu besorgen: Richard Scarry: Mein allerschönstes Europareisebuch. Gibt es nur noch antiquarisch.*

Kein Wunder. Von diesem Buch habe ich gelernt, dass Schotten geizig sind, Italiener Taschendiebe, Amerikaner fett (und ihr Nutzen ist, das Loch in einem holländischen Deich zu verstopfen), Iren wegen unerfülltem Kinderwunsch zu dubiosen Heiligtümern pilgern und viele ähnliche Dinge. Selbstverständlich habe ich meine Einschätzung gegenüber diesen Nationen bis heute nicht geändert.

Ich lese ja nun auch dauernd von den bereinigten Kinderbüchern. Dann bin ich mal dieser Meinung, dann wieder einer anderen. Und dann gar keiner mehr. Ein Hin und Her. Zum Beispiel gendere ich in meinen Mails, im Gegensatz zu hier. Da ich nur für Gutmenschen arbeite Bei der Arbeit halte ich das auch in offiziellen Schriftstücken für selbstverständlich und normal, und zwar nicht nur mit einem Zusatz bei allen männlichen Formen im Text seien die Frauen selbstverständlich mit gemeint.

Aber außerdem bin ich früher mal Restauratorin gewesen. Und mir wurde in der Zeit meiner Ausbildung ununterbrochen eingebläut, dass nichts heiliger ist als das Original. Als größtes Zugeständnis können vielleicht ein paar kleine Reste einer älteren Restaurierung sichtbar bleiben, um Geschichte (und die verschiedenen Auffassungen über das korrekte Aussehen) und Patina des Werkes sichtbar zu machen.

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Was zum Beispiel ist davon zu halten, wenn die Prüderie der vorletzten Jahrhundertwende eineN berufeneN KünstlerrestauratorIN (also in diesm Fall mich, ich könnte das natürlich auch besser, hab aber keine Zeit) veranlasste, einer fast nackten Bathseba (Hans Memling) ein verhüllendes Badetuch zu verpassen. Darf man sowas? Und sollte man das dann so lassen? Man kann in der Restaurierungsgeschichte ganz gut sehen, was der Zeitgeist mitunter für Blüten trieb, da würden Leute dünner gemacht, angezogen oder vollständig übermalt. Rausgesägt. Zersäbelt.

Schon immer wurden mit mancherlei Darstellungen Gemüter verletzt, lange lange Zeit Kleinwüchsige, geistig und körperlich Behinderte, Mohren diskriminierend und stigmatisierend dargestellt, vermutlich ist das an mancher Stelle immer noch so. Sollen die jetz alle übermalt oder ausgelöscht werden? Heute ist das in der Malerei zu recht undenkbar, selbst wenn es einen gesellschaftlichen Konsens über diese Abscheulichkeiten und Herabwürdigungen gibt.

Wenn wir nun also annehmen, Schriftsteller seien auch Künstler, dann verbietet sich das bei Büchern in absolut gleichem Maße.

Ach. Herr Kid erzählt von den literarischen Abgründen seiner Kindheit, da sind meine italienischen Taschendiebe wieder mal beschaulich.

* Und es wurde inhaltlich überarbeitet und reduziert!.

Island, ich komme!

Aus pekuniären Aspekten kann ich Krankheit und Trennung nur empfehlen.
Gerade beim Steuerberater gewesen, bekomme eine stolze Summe vorrausgezahlte Einkommenssteuer für 2011 zurück. Hat alles sein Gutes (?).

Schöne Aussichten

Mein Schlafzimmerblick ist ja bekannt. Als wir hier hergezogen sind, konnte man nach vorne raus von überall den See sehn. Die orangefarbenen Strassenlaternen des damals funkelnagelneuen, unweit vom Ufer gelegenen Industriegebiets leuchteten mir viele Jahre lang vertraut, wenn ich als Kind abends vor dem Heiagehen meine Nase nochmal ans Fenster drückte. Und waren Ausgangspunkt verwegener und beunruhigender Gutenachtgeschichten, die meist mit UFOlandeplätzen und Ausserirdischen zu tun hatten. Eines Tages jedoch waren sie verschwunden. Natürlich nicht plötzlich. Erst konnte man sie vom unteren Stockwerk nicht mehr sehen, nur noch manchmal ein bisschen, im Winter, wenn die Bäume unbelaubt waren. Nach und nach wurde auch oben bei mir das Blickfeld enger. Inzwischen gibt es nur noch ein Zipfelchen See und den Säntis (der hohe ganz rechts am Bildrand) nur im Winter.

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Ich bin ja so eine Baumumarmerin. Ne, naja, jedenfalls kann ich Bäume gut leiden und gerate regelmäßig mit der Greisin in Streit, die wüste Mordfantasien hat und mir jedes Baumimdachfoto unter die Nase hält, dessen sie habhaft werden kann. Schau, so gefährlich, man sollte die absägen usw. Ich, na klar, gleich Ideen von Festketten (also mich am Baum), besetzen und so. Nur über meine Leiche.
Sie starb für einen Lebensbaum.

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Aber die da unten. Die mir in die Sicht wachsen. Die müssen jetz mal weg. Dumm ist, dass die meisten hinter unserem Zaun stehen. Jetz sind die Zaunpfähle morsch (müsste mal einer neu machen) und ich denke darüber nach, wie denn nun genau der Grenzverlauf, und in der linken Ecke fehlt ja sogar der Grenzstein, auf dem Luftbild kann man das gar nicht erkennen, wie soll man also wissen, welcher Baum wem genau, und Holz ist ja gefragt grad. Erst mal unsere umbringen, die eindeutigen. Und dann die Nachbarn überreden.

Leise rieselt der Schnee

Die Grütze, die diese Stasieislaufprinzessin absondert, sucht wirklich ihres gleichen. Hört nicht zu, kapiert die Beiträge der anderen nicht und schwafelt unermüdlich über das schreckliche Kilo, welches sie während der Feiertage zunahm. Frau Maischberger ist aber kaum besser. Und der Rohkost-Guru erst. Kommt sofort auf untige Liste. Ein Glück bin ich dann eingeschlafen.

Leider musste ich nun auch noch erfahren, dass die deutschen Beckhäms es noch einmal versuchen. Ja, da könnt Ihr aber froh sein, Ihr Hamburger. Und das, wo doch die Trennung endgültig war? Warum ich sowas lese? Natürlich um mich aufzuregen, passiert ja sonst nicht viel hier.

Ich habe endlich Level 97 und 98 geschafft. Ich habe zum 123.786 Mal den Weidezaun repariert. Ich hatte eine vergnügliche Korrespondenz mit den Demeterleuten, weil ich an der neuen Verpackung rumgemeckert habe (alle Luft aus den Segeln, alles total öko).

Ich habe heute IM BIOLADEN KABELJAU-FISCHSTÄBCHEN und TIEFKÜHLSPINAT gekauft. Das ist fast so schlimm, wie dass meine Freunde vom Superökoplitischkorrektverklemmtfeministsischengenossenschaftsladen FRIEDEN auf ihre Hauswand gesprüht haben. Gut, dass wir das jetzt wissen, wo wir andern ja alle für Krieg sind.

Ob ich schlechte Laune habe? Rate mal.

Was ich gerne nicht mehr sagen lesen sehn möchte

Offizielles Unwort des Jahres 2012: Opfer-Abo. Naja. Sehr zwiespältig.
Von mir gibt’s noch ein paar zeitlose dazu (dann hab ich sie erst mal durch):

wohnhaft
kommuniziert werden
Kult… (…kneipe/…band/…serie) auch … ist Kult. Trend.
Flieger
Ich sag mal … (gern in Verbindung mit quasi)
Fanwut
…technisch (Frauen…/Männer…/Liebes…/Arbeits… )
Promi… (…hochzeit/…look/…news)
Wandtattoo
bewerkstelligen
Sprech
Nazibraut
verstorben
ganz grosses Kino (Tennis)
Heidi Klum
getätigt
Atmo
Duftkerzen (auch gerne in Zusammenhang mit mit → Wohlfühloase)
… ist nicht (so) mein Ding
Chabby Chic
zaubern für kochen (besonders kombiniert mit Perle)
Wohlfühloase
Wir lieben uns immer noch (trotz der Trennung)
Glamourpaar
Leoprint
Bachelor
Kehrwoche
Bonustrack: Carport

Und die auch alle.

Zur abschliessenden Zerstreuung noch das Jahr 2012 vom Balancing Wolf.
Statt Oolong.

Anders

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Und dann ist man ganz plötzlich selbst in dem Alter, in dem in der eigenen Kindheit vieles noch ganz anders war (ja, damals, vor dem Krieg). Gestern im Gasthaus im Nachbardorf bei der Nachdemessenzigarette* vor der Tür, haben wir uns erinnert, dass man die Kinder von hier früher immer sofort erkennen konnte: Riesige Köpfe, Überbiss, gedrungene Gestalt und der Geruch nach Kuhstall.

Das Gasthaus war dunkel getäfelt, am Stammtisch wurde ab dem Frühschoppen gebechert, gequalmt und Skat gespielt. Es gab einen Kachelofen und eine Ofenbank. Die Dekoration bestand aus den Pokalen des überregional erfolgreichen Sportvereins, aufgereiht über der Theke und Urkunden von Schützen- und Männergesangsverein an der Wand. Ich habe mich immer ein bisschen vor den lauten alten Männern gefürchtet. (Heute gibt es helles Furnier, Fliederfarben gemusterte Kissenbezüge und Kunstblumensträusschen. Mozzarellaschnitzel, vegetarische Maultaschen und alkoholfreies Weizen. Ich fürchte mich vor anderen Dingen.)

Auf dem Hof unserer Nachbarn schliefen jeweils vier der acht Kinder in einem Zimmer, praktischerweise waren es vier Mädchen und vier Jungen. Beheizt waren nur Küche und Stube, die Schlafzimmer bekamen etwas Wärme vom darunter liegenden Kuhstall. Es gab ein Plumpsklo im ersten Stock und den Hintern hat man sich mit Zeitungspapier abgewischt, das man nicht ins Klo werfen dürfte, sondern in einen Eimer daneben. Eine Badewanne aus Metall auf vier Füssen, in der die Kinder nacheinander gebadet haben. Einmal die Woche(?). Die GUTE Stube, wo auch der Fernseher stand, wurde nur am Sonntag genutzt. Ferngesehen wurde eigentlich nie, oft haben wir was gespielt und uns dabei gestritten. Am liebsten Murmelmikado. Ich habe immer verloren.

Geheizt wurde mit Holz, das Brot wurde auf Vorrat selbstgebacken, geschnitten am Tisch vom Vater, der den ganzen Laib an seinen Oberkörper presste und horizontal zu sich hin säbelte. Ich hab immer den Atem angehalten, so gefährlich kam mir das vor. Abends gab es ein Vesper mit Most, Brot und Speck. Mittags wurde für alle was Warmes gekocht, auf und im Holzherd.

Wenn geschlachtet wurde, waren die Nachbarn zum Kesselfleisch eingeladen, in der riesigen Küche war der Metzger noch damit beschäftigt, Wurst zu machen (natürlich die beste Wurst der Welt) und wir Kinder vertrieben uns die Zeit damit, zu versuchen, uns gegenseitig die (echten) Ringelschwänzchen mit einer Sicherheitsnadel anzustecken. Für meine Familie wurde immer ein halbes Schwein mitgemästet. Irgenwann bekamen wir die Schinkenkeulen und den Speck, die dann bei uns daheim in einem Drahtschrank in der Garage an Fleischerhaken aufgehängt wurden. Die Garage roch eigentlich immer nach Rauchfleisch. Die frischen Sachen kamen in eine riesige orangefarbene Tiefkühltruhe.

Jeden zweiten Tag brachte uns das jüngste Nachbarkind zwei Liter Milch, abgefüllt in die klobigen Saftflaschen der 70er Jahre. Oft war sie noch euterwarm und hat nach Kuhstall gerochen. Bis heute verabscheue ich Vollmilch.

Gespielt haben wir am Liebsten in der Scheune, sind in zwölf Meter Höhe über die morschen Balken balanciert und haben komplizierte Höhlensysteme im Heu gebaut. Manchmal sind wir wo runtergefallen, aber schlimme Unfälle gab es keine. Bienenstiche jede Menge, denn wer mutig war, ging in die Nähe des Bienenhauses. Was natürlich nicht erlaubt war. Spielsachen außer ein paar Gesellschaftsspielen hatten die Kinder keine.

Heute gibt es noch zwei Schweine, zwei Kühe und zwei Ponys, wegen der Feriengäste, ansonsten wird nur noch ein bisschen Ackerbau betrieben. Der Hoferbe trägt ein Basecap beim Traktorfahren. Die Familie hat ein richtiges Badezimmer mit Wasserklosett und eine Zentralheizung. Sie können zusammen in Urlaub fahren und die Kinder gehen aufs Gymnasium (wobei seinerzeit fünf der acht Abitur auf dem zweiten Bildungsweg machten, zwei haben promoviert). Müssen nicht mehr so früh aufstehen zum Melken. Im Hof steht ein großes Trampolin und es gibt einen Basketballkorb und einen Grillplatz.

Ich kann mich nicht erinnern, dass irgendjemand auf den Nachbarhöfen im Sommer draußen saß, überhaupt eine Draussensitzmöglichkeit hatte. Von Grillen ganz zu schweigen. Inzwischen gibt es die eine oder andere Ruhebank an der Westwand, Richtung Sonnenuntergang. Ich freue mich immer, wenn ich die Alten sitzen sehe. Dass die überhaupt mal zu Sitzen kommen. Früher sind sie meist vorher gestorben.

* K. Krömer zu H. Schneider, der sich seine einzige tägliche Zigarette anzündet: Was, Sie gehören zu denen, die EINE Zigarette am Tag rauchen? Schneider: Ne, ich bin Nichtraucher. Genau.

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Liebe Lesende, nachdem ich nun weiss, was durchschnittliche Besucherzahlen sind, habe ich mir überlegt, für Sie ein paar Anreize zu schaffen. Wie bei jeder Neueröffnung hier in der Provinz wird ab sofort jeder von Ihnen persönlich mit Handschlag und einem Gläschen Bodenseesecco begrüsst werden. Wer wen mitbringt, bekommt ZWEI!

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Ist das nix?

Nachschlag (und dann ists gut)

Nicht zu fassen. Ich grabe mich ja noch immer durch Berge alter Texte erschreckenden Inhalts. Dabei fand ich auch das. Kommt ganz fast ohne Ethnien aus und zeigt, dass das Problem schon ein paar Tage alt ist. Von 2002. Und meinen Leserbrief an die TAZ. Auch von 2002 (wurde nicht veröffentlicht). Scheint, als war ich da schon sauer (bin ich jetzt nicht mehr, geht mich ja nix mehr an):

1mai2
Geschätzte Ureinwohner,

jaja früher war alles noch so toll hier, alles hattet Ihr für Euch, ein ganzer Stadtteil voll schreibender Dissidenten oder saufender Dichter oder dichter dissidenter Schreiber und praktisch kaum Stasi.

Aber dann kamen wir, die verwöhnten Blagen aus dem imperialistischen Feindesland. Selbstverständlich wurde uns vom ersten Augenzwinkern der Puderzucker in den Arsch geblasen und so kauften unsere Eltern gleich Tausende und Abertausende Eurer Häusern, um für unsere standesgemässen Wohnverhältnisse zu sorgen.

Dabei blieb es nicht, nicht nur die Wohnungen nahmen wir Euch, nein auch die Frauen und die Arbeit, und nun saufen wir hier, natürlich kein Bier, nur die exotischsten Cocktails, für die wir mit grösstem Vergnügen mindestens acht Euro berappen, dralle Thüringer Mädchen auf dem Schoss, an deren Ohrläppchen wir lutschen und schreiben für die de:Bug und so.

Und ich sag Euch was, ich kann Euer Gejammer nicht mehr hören. Denn wir sind stolz auf jede einzelne Filiale unserer Feinkostketten, auf jede unserer Kaffeebars, unsere billigsanierten Mietshäuser, unsere Saabcabriolets, die wir auf dem Bürgersteig parken und unsere unbezahlbaren Maisonettewohnungen mit Dachterrasse.

Ihr solltet lieber dankbar sein. Für all das, was wir für Euch getan haben, denkt doch nur an all die Durchlauferhitzer, die knorken Badezimmerkacheln und nicht zuletzt auch die Errungenschaften der modernen Telekommunikation.
Ohne uns müsstet ihr doch immer noch zentnerweise Kohlen schleppen und zum kacken eine halbe Treppe rauf.

Mit freundlichen Grüssen

Eure Montez