Archiv für den Monat: Januar 2013

Fast wie ein Zauberberg #03

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In wilder Hast, um Krankheit und Siechtum zu entrinnen, umrunde ich ein um den anderen See, halte selten inne, die Aussicht zu geniessen, immer weiter. Bald habe ich Blasen, gross wie Wagenräder und kann am (ohnehin würdelosen) Nordic Walking Kurs nicht teilnehmen. In meinem Abschlussbrief wird stehen: Die Patientin konnte Gleichgewicht und Körperkoordination beim Nordic Walking deutlich verbessern. Für ersteres steige ich täglich auf ein Brett und versuche durch Bauchtanz auf einem Bildschirm einen Punkt in ein Quadrat zu manövrieren, das Runde muss ins Eckige, man kennt das ja. Ich weiss inzwischen, nichts wird sich dadurch verbessern, ausser dass ich auf einem Brett einen Punkt usw., wozu es im echten Leben eher selten kommt. Die Angst vor südenglischen Steilküstenpfaden wird jedenfalls nicht weniger. Statt zur Seviettentechnik gehe ich zur Tongruppe und statt der erwünschten Obstschalen mit Blattabdruck forme ich traurige Gestalten mit hängenden Köpfen. Frau R. ist sehr autoritär und nimmt den Leuten die Tonwürste aus der Hand, so macht man das, mir nicht, das haben wir gleich beim ersten Mal geklärt. Der IQ-Test behauptet, blöder sei ich nicht geworden, ich bleibe skeptisch. Frau S., die grossartige Psychologin, ist krank. Ich gehe also zu Frau H. und wir stellen beide fest, dass wir nicht zusammenpassen.

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An der Hubbrücke gibt es ein zauberhaftes Restaurant mit Steg und Liegestühlen, Maräne und badischen Grauburgunder, ich lerne die G. kennen, auch Psychologin, aus Berlin, Stuttgarter Platz, juchei, das ganze Hirn voller Läsionen, wie ein Streuselkuchen hat der Radiologe zum letzten MRT gesagt. Da sitzen wir, uns zugetan, die Sonne geht pastellig unter, sie raucht Kette und ich trinke ein Glas Wein oder auch zwei. Einmal müssen wir abends einbrechen.

Ihre Leberwerte sind viel zu hoch der Internist scheint ernsthaft besorgt um mich und ich denke schweissgebadet an die ausschweifenden Abende mit dem F., die immer im Fiasko enden. Mmh, ja ich trink schon Alkohol murmle ich meinen meinen Bart Eine Flasche Schnaps am Tag? so seien sie nämlich, dann kommt das wohl doch vermutlich vielleicht von dieser Medizin. Uff. Trotzdem kein Wein mehr ab sofort (nur noch Fassbrause). Bei der nächsten Überprüfung sind sie noch ein bisschen schlechter. Ist das jetz gut?

Diese Hitze. Bald haben nur noch die Stare Schwung, auf den Kirschbäumen vor meinem Fenster. Ratzfatz und leer, gefällt mir gut. Ich muss zum Wasserballett, zur Stressbewältigung, zur Ballgymnastik. Dann kommt der F. zum Wochenendbesuch, er parkt ziemlich weit entfernt und will lieber nicht mit reinkommen. Ich laufe zu ihm hin und freu‘ mich.

Die anderen Folgen gibt es hier.

Nach Hause

Sie sehen aus wie zwei alternde Filmstars, wie sie da an der Gepäckausgabe stehen. Und, fragt sie, ein bisschen peinlich berührt, das sind deine Grosseltern? Levin trägt einen beigefarbenen Alcantara-Anzug, ein pfirsichfarbenes Hemd, sehr weit aufgeknöpft, Brusthaar blitzt und ein goldenes Kreuz auf der braungenbrannten Haut. Der Kragen ist mehr als ausladend und liegt über dem des Jacketts. Wenn das meine Mutter wüsste. Seit sie den Winter in Spanien verbringen gedeiht ein millimeterbreites schwarzes Menjoubärtchen über seiner Oberlippe. Margot ist wie immer aus dem Ei gepellt, das Kostüm mohnrot, das Haar blond onduliert, statt Augenbrauen zwei schmalgezeichnete Linien die den hellblauen Lidschatten einfassen. Ich kann gar nicht aufhören in mich hineinzulachen, jetzt, wo sie neben mir stehen, und ich das Gefühl habe ich sehe sie das erste Mal mit Distanz, nicht Opa und Margot, sondern zwei schillernde Gestalten, mit etlichen Gepäckstückchen und Sunny, dem Yorkshireterrier, der heute das Pony mit einer Kirschspange zusammengefasst trägt. Er bellt uns an. Wir küssen uns. Ich stelle vor. Die riesigen Sonnenbrillen werden abgenommen, die Reise war unbeschwerlich also. Der Luftraum ruhig, das Essen lala, und ich summe across 110th street, als wir das Gelumpe zum goldenen Commodore schleppen. Margot trägt ihr Beautycase selbst. Lale ist schweigsam. Natürlich darf ich nicht mehr fahren, das Baby, und so ruckeln wir den weiten Weg nach hause, denn Levin hat den grauen Star und sieht nicht so recht. Sie sind sehr aufgeregt, die Blumen, ja, die Blumen leben noch, ich habe zur Feier des Tages sogar den Gummibaum abgestaubt. Und es ist Frühling, Lale fragt nach dem kanarischen Wetter, sehr trocken, genau. Wie schön wieder zu hause zu sein. Margot hat sich den Bauchspeck absaugen lassen, das ist da viel billiger. 2001.

Gestern auf den Friedhof, zu den Vätern. Die Greisin geht nie mehr mit.

Thiersebrei (Kopf der Woche)

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Eigentlich sollte man Herrn Thierses Gelaber ja mit Missachtung strafen, aber. Boah. Ich kann diesen Scheiss nicht mehr hören. Die Süddeutsche schreibt dazu einen sehr schönen Satz: Diese Pauschalität führte jetzt dazu, dass sich sogar die Badener mit den Schwaben solidarisieren, dem Vernehmen nach das erste Mal in der Geschichte der Menschheit. Also das will wohl was heissen. Und genau, auch ich solidarisiere mich! (Jaja, die Unterschiede zwischen uns Südweststaatsbürgern sind für den Rest der Welt ungefähr so relevant und sichtbar wie der zwischen Köln und Düsseldorf für einen Nigerianer.)

Die Zeit fasst das ebenfalls noch mal schön zusammen, mir kam beim Querlesen noch das hier unter, da sieht man, dass Wehklagen auch ohne grob geschnitzten Sündenbock geht. Denn natürlich ist mancherlei beklagenswert. Im Spiegel wird noch gefleischhauert. SPON halt.

Und dann will ich nie wieder was von diesem Müll hören. Platz 1 auf der einschlägigen Liste. Ginge das?

Gute Geister

Ach, Silvester. Der kleinste hatte was mit dem Magen und hat quer über den Tisch gekotzt. Wir waren noch nicht ganz mit Essen fertig. Er musste dann mit der Mama heim (war eh auch müde) und wir haben Cadavre Exquis gespielt bis elf und Tränen gelacht. Wunschboote raus auf den See (das geht sehr professionell inzwischen, die erste Jahre sind sie immer gleich abgesoffen)

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Karten gelegt (jaaa, gehts vielleicht auch bisschen subtiler?)

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und ab zwölf geballert (ich war recht tapfer) und wahllos wählerisch geküsst.

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Zum Abschluss noch bisschen getrunken (na klar, Schampanjer) und dann heim in die Heia. Ein schnafter Abend. So kann es bleiben.

Theodor Borowski

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Am Ende der Serpentine durch den Wald, kurz vor hier, kommt man bei diversen Wettern durch eine Nebelschwade. Sie taucht ganz unvermittelt auf, ein kompakter Streifen, einmal quer über die Strasse. Und als Kind war ich mir sicher, dass sie mit dieser Schrecklichkeit zu tun hat.

Das Internet spuckt zum Namen Theodor Borowski nur den üblichen 123-Kram und ein paar FB-Jungs aus, auch alle einschlägigen dazukombinierten Begriffe geben gar nichts her. So bleiben nur die mangelnden Kenntnisse der Greisin, die war damals, als jener Pole hier hingerichtet wurde, erst 11 Jahre alt. Nazis gab es hier natürlich keine (Neeeiiiin, unser Ortsgruppenleiter war ein ganz lieber Kerl). Und gesprochen wurde über so etwas sowieso nicht. Schon gar nicht mit kleinen Mädchen.

Er war ein Kriegsgefangener, Zwangsarbeiter bei Bauern in einem Nachbardorf und hat sich dort folgenreich verliebt. Der Frau und Kindsmutter wurden die Haare geschoren und was weiss ich nicht (die Greisin weiss es nicht) und der Theodor Borowski wurde da oben, also ungefähr 200 Meter von meinem Stuhl entfernt an einem Baum gehänkt. Genau da wo die Schwade schwebt.

Viele Jahre später wurde der Gedenkstein aufgestellt. Die Mutter hat alle Jahre da was hingepflanzt, die Rehe fraßen es gründlich wieder ab, nur mit ein paar Schneeglöckchen hat es geklappt, im Frühling blüht ein bisschen was.

In den letzten Jahren war die Tafel zweimal mit weisser Farbe beschmiert und musste gereinigt werden. Im nachhinein tu ich mich bisschen amüsieren, denn danach blieben die Reste in den Vertiefungen der Buchstaben und der Text war besser zu lesen als jemals. Und gestern hat jemand ein Licht dorthin gestellt. Ich habe mir vorgenommen, im Frühling da was rehunverträgliches zu pflanzen. Schliesslich sind wir Nachbarn.