Archiv für den Monat: Januar 2015

Mein täglich ich #02

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Der frühe Morgen verläuft wie immer. Bein Frühstück sagt die Greisin, dass sie nun doch zum Arzt möchte. Das stellt ein winziges Problem dar, denn über Nacht sind 30 cm Schnee gefallen: Unmengen von Schnee. Das sieht sehr hübsch aus, aber bis zur Strasse sind es fast 100 Meter bergauf, ich fang gleich an zu schippen. Der Nachbar kommt, ich erzähl, dass wir zum Arzt müssen und mitsamt Nachbarin schippt er mit. Er mit Maschine, wir Damen ohne. Nach über einer Stunde ist es geschafft.

Der Arzt hat heute keine Sprechstunde, aber seine Frau ist selbst am Telefon. Dann rufen sie zurück und sagen, wir können trotzdem kommen. In einer Stunde. Ich pack den Totzki ein, der hat seit neustem so ein kleines Knubbelchen (Aaaaaahhhhhh, das heisst oft nix gutes) und muss sowieso geimpft werden, und gehe vorher noch schnell zum Tierarzt, bis die Greisin abfahrbereit ist.

In der Praxis macht er sofort die Tierärztin in sich verliebt und ist ansonsten ziemlich kleinlaut. Das gefällt mir gut. Das Knubbelchen ist verschwunden. Als ich daheim ankomme, steht die alte Dame schon parat. Ist den steilen eisigen Berg alleine hochgestapft. Ich schimpfe nicht.

Der Arzt ist wunderbar, wie immer, findet alles seltsam, aber nicht sehr besorniserregend, schickt uns aber dennoch sofort zum CT. Ds kommt nichts schlimmes raus, aber dennoch Sachen, die man eigentlich nicht wissen will. Die Greisin ist ein bisschen beruhigt, keine Blutung, kein Gerinnsel, kein Tumor, ich erschöpft.

Schreibtischarbeit. Langweiliger Tiefschneehundespaziergang mit Streit über Verhaltensregeln. Pferd versorgen.
Butternutofengemüse mit Hühnerbein und Kräuterquark.

Internet flackert, also nur den halben Vargas geschaut (ich hab ja keinen Fernseher) und gelesen. Jawohl, ich habe in diesem Jahr schon ein ganzes Buch gelesen und ein halbes zweites. Früh eingeschlafen. Gar nicht schlecht geschlafen.

Mein täglich Ich #01

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Eigentlich sollte es ja weniger ICH werden, aber das kommt mir gerade richtig vor. Den Tagen nachfühlen. Ein bisschen. Festhalten. Gegen das Verschwinden. Vergehen. Verblassen.

Mein Tag beginnt immer gleich, gestern allerdings früher also sonst: Ich habe einen Termin! Yay!

Dem Trotzkiquengeln nachgeben. Duschen. Mein erster Gang immer zur Greisin:
Lebst Du noch?
Ja. Brumm.
Dann ist gut. Schlaf weiter.

Es ist noch dunkel.
Der fette Kater (mindestens 3 Kilo Winterspeck) steht vorwurfsvoll vor der Tür. Brüllt. Er kann rein und raus wie er will. Aber morgens soll ich. Voralpenrind will er. Alle bekloppt.
Kater füttern.
Vögel füttern.
Runter zur weissen Trine:
Lebst Du noch?
Ja.
Dann ist gut.

Pferd füttern. Hals Klopfen. Ach. Altes Pferd.

Feuer machen. Bis hier hin ist alles wie immer.

Ich hab das Auto oben ander Strasse stehen lassen. Die hatten ja Schnee vorhergesagt. Es ist tatsächlich ziemlich eingeschneit und ich fege und kratze 15 Minuten. Fahre sehr vorsichtig den Berg runter zur Bäckerei der Kusine. Butterbrezel und Cappucino. Sie erzählt von der sinnlosen profilneurotischen Langatmigkeit der gestrigen Versammlung. Ich weiss genau wovon sie spricht.

Dann hole ich E. und M. ab, um sie zur Sprachschule zu fahren. Integrationskurs. E. ist wahnsinnig aufgeregt, erzählt mir später die Nachbarin. Und ich ein bisschen brutal. Das kannst Du alleine sage ich und drücke ihr eine Papier mit den Busfahrzeiten in die Hand. Für die Heimfahrt. Denn meine Sitzung dauert sicher länger als der Einstufungstest.

Der Helfer- und Unterstützerkreis tagt. Das ist eine sehr kuriose Ansammlung sehr netter und sehr unterschiedlicher Menschen, die sich seit achtzehn Jahren für die hier untergebrachten Flüchtlinge engagieren. Zwei Leute vom Landratsamt sind da und beantworten rechtliche Fragen. Ich kapier’ das noch immer alles nicht. Titel. Duldung. Abschiebung. Wer wann welchen Schein braucht.

Es wird im März eine neue Sammelunterkunft geben. Für 80 Personen. Die Leute in diesem Dorf sind noch nicht informiert. Der Landkreis hat ein sehr eigenartige Attitude bezüglich der Miteinbeziehung der Bevölkerung. Ja klar, um zum fragen ist gerade nicht die Zeit, der Fluss der aus Karlsruhe zugeteilten Flüchtlinge reisst nicht ab. Alle Unterkünfte sind voll. Wohnungen will keiner vermieten. Aber so?

Ich erzähle von der Neckar-Odenwald-Facebookflüchtlingshilfeseite, weil ich inzwischen schon so oft gehört habe, dass Leute helfen wollten und, wie ich, keinerlei Ansprechpartner gefunden haben. Oder was abzugeben haben. Oder was suchen. Hier, scheint mir, hören die Leute Facebook und sind sofort dagegen. Bleib uns bloss damit weg. Einer fällt mir ins Wort wegen was anderem. Ich sag nix mehr, nach zwei Stunden, es wird noch immer geredet, gehe ich.

Einkaufen. Wenn man auf einem Berg lebt, fern von sonstiger menschlicher Besiedelung, und wenn man wie ich Einkaufen hasst, legt man Vorräte an. Damit man nicht so oft einkaufen muss. Früher, die Greisin ist ja ein Kriegskind, hatten wir eine riesige stromfressende Tiefkühltruhe, in der das halbe, von den Nachbarn für uns gemästete Schwein lag. Im Drahtschrank daneben hingen Schinken und Speck. Die Truhe wurde irgendwann abgeschafft, auch sonst habe ich die Vorratshaltung eingedämmt, dennoch kaufe ich für länger. Die Bier- und Wasserkisten schaffe ich mit dem Schlitten runter. Das ist eine echte Herausforderung.

Der Greisin ist blümerant. Schon seit Tagen. Legt sich wieder hin. Ich esse ein Stück Quarkkuchern im Stehen. Und renne noch zum Schreibtisch, um die Post zu erledigen. Wenigstens zum Teil.

Um drei bin ich mit dem Patentkind zum Englischlernen verabredet. Eigentlich will ich den Trotzki mitnehmen und das Kindlein zwingen, dann noch ein bisschen mit uns zu spazieren. Der ist aber mit der Nachbarin und deren Neffen verschwunden. Wenn hier ein Kind auftaucht bin ich komplett abgemeldet. Auch gut. Nervensäge.

Macht es prima, das mit dem Englisch. Nur Das TH. Zum Abschluss kucken wir Evelyn Hamanns Zusammenfassung der Folge von Zwei Cousinen. Finden Kinder heut sowas noch lustig? Das Patentkind schaut hochkonzentriert zu, verzieht kaum eine Mine und behauptet dann, es sei sehr lustig gewesen. Und ob das echt sei. Ich erkläre, wer Loriot ist und wir schauen noch Dr. Klöber und Herrn Müller-Lüdenscheit beim baden zu. Same. Hm.

Heim. Zwei Tonnen Scheisse schaufeln. Pferd versorgen. Pferd streicheln. Ach, altes Pferd. Greisin streicheln. Trotzki streicheln. Kater streicheln. Essen für alle organisieren.

Kürbis? Ne. Ich rühre uns eine Amatriciana zusammen, das ist so ein tröstliches Essen. Und Trost ist grad gut.

Ein bisschen Arbeit noch. Ist eh grad nicht viel, das ist schön.

TV. Heia.

Von hier nach da

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Wenn ich gewusst hätte, dass pünktlich nach zwei Jahren das Mobilding verreckt, hatte ich vermutlich keine neue Kamera gekauft. Nun ist es aber so. Ich schaffe dieses Obstgedöns mit großem Widerwillen an. Aus reiner Faulheit. Alles, wofür diese Firma mal stand, ach naja, ist ja egal … Immerhin stöpselt man den Kram ein und alles ist da. Wie vorher. Das lass ich mir halt was kosten. So gesehen.

Geduld geübt. Ein bisschen. Carpediemyolo, verstehste. Bein ist brav.

Und jetzt das Graue mit Reiseplänen erleuchten:
April: Rotterdam, Keukenhof, Amsterdam. Juhu! Hey JJ!
Mai: Wir machen echt Brigitte. Mit dem Bulli durch Wales, vor Jahren beim Zahnarzt gelesen. Rausgerissen. Nicht vergessen. Eine etwas andere Route (Frau Wiesel gibt nützliche Hinweise). Harmony (hoffentlich hilft’s) ist schon gebucht , Flug auch und eine Nacht in Bristol (AirnBpremiere). Hab einen Campingführer gekauft. Krass.  Ick freu mir so.

Den Rest des Jahres Gemüsegarten.
Das muss doch zu schaffen sein.

Trägt mich durch den Schmuddel. Und hilft ein bisschen gegen Kloss im Hals.

Morgen früh:

Integrationskurssprachtest
Unterstützerversammlung (Fragen über Fragen)

Im Moment denke ich aus naheliegenden Gründen viel über Flucht nach. Das kleine Mädchen bekommt grosse Angst, wenn es einen Mann in Uniform sieht. Hat Dinge erlebt, die kein Mensch, und schon gar kein Kind, erleben sollte. Aber es wird besser, sagt Esraa. Wenn ich fliehen müsste. Dinge zurückzulassen finde ich, zumindest theoretisch, nicht schlimm. Flucht mit einer gebrechlichen alten Frau, wie sollte das gehen. Und die Tiere. Das bricht mir schon in der Theorie das Herz. Hoffentlich müssen wir nie fliehen.

Lost Boyz

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Einer von diesen Mitbewohnerinnenfilmhochschulkommilitonen. Aus Neuseeland. Ist ja ein Dorf da. Ich werde nie vergessen, wie er fast täglich in B. in unserer Küche sass und alles bekritzelte, was da rumlag. Zigarettenschachteln, Briefumschläge, Kassenzettel, den Tisch. Er war der lustigste und schönste von der riesigen Neuseelandposse. Daheim ein Soapstar, angeblich. Wenn er da rumsass, rauchte, witzelte und kritzelte, verschlug es mir immer völlig die Sprache. Ich sass auch da, rauchte, starrte und himmelte stumm diesen wundervollen, lustigen, freundlichen Mann an.

Einmal war die Neuseeländische Freundin nicht da, als er auftauchte. Ich kochte einen Tee. Wir tranken Tee, er fletzte lässig im Sessel und ich murmelte Sachen in meinen Bart. Vermutlich hat mein Kopf rot und laut im dämmrigen Zimmer geleuchtet. Ich kann mich eigentlich nicht erinnern, dass ich jemals in der Lage war, mit ihm ein normales Gespräch zu führen. Nachts träumte ich von ihm. In meinen Träumen war ich schlagfertig und hinreissend.

So absolut voll bescheuert kann er mich nicht gefunden haben, denn bevor er heimkehrte auf die andere Seite der Weltkugel, schenkte er mir ein Bild, dass er für mich gemalt hatte. Mit Widmung. Vor kurzem bin ich ihm im Internet begegnet. Er hat das Drehbuch für den neuen Disney-Film geschrieben. Dann hab ich gegugelt und bei der Krake ist er auch.

Zuletzt hat er also What we do in te shadows gedreht, in Deutschland unter dem bescheuerten Namen Fünf Zimmer Küche Sarg erschienen und vermutlich nur ziemlich kurz im Kino. Hier in der Provinz jedenfalls gar nicht.

Da isser (ja, das geht uns nix an, lustig ist es trotzdem):


(keine Ahnung warum das Play da nicht weggeht). Hübscher, mit Vollbild und so ist es hier. Und das Sicherheitsvideo für Air New Zealand hat er auch gemacht.

Ruhm, Ehre, Reichtum. Wie ich ihm das gönne! Von ganzem Herzen.
Made my Sunday.

Mit und ohne Kopf

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Ich denke, ich werde dem jungen Mann Schautafeln mit Abbildungen erstellen.
Anders wird das ja nix. Jeden Morgen gibt es neue Opfer.

Da steht dann:

KEINE VÖGEL FANGEN!

Falls doch, bitte Kohl-, notfalls Blaumeisen, keinesfalls Kleiber, Rotkehlechen, Hauben-, Schwanz, Wald- oder Sumpfmeisen, Zaunkönige, Goldammern, Dompfaffen, Kernbeisser oder Amseln. Drosseln, Finken, Stare usw. Feldlerchen. Krähen. Raben. Eichelhäher. Rotmilane. Fischreiher. Adler.

Falls es doch passiert, bitte wenigstens ganz essen und nicht nur den Kopp abbeissen und den Rest unter der Küchenbank liegen lassen. Es sollte aber nicht passieren.

Gleichfalls:

Bitte nur Wühl- und Hausmäuse, keine Feld-, Hasel-, Wald- und Spitzmäuse. Keine Bilche, Maulwürfe, Eichhörnchen und Siebenschläfer. Feldhamster.

Keine Fledermäuse. Blindschleichen. Eidechsen. Frösche, Kröten, Unken und Molche.

VERDAMMT NOCHMAL!

Als ich vorgestern das kleinste meiner funkelnagelneuen Kinder in den Kiga gebracht habe sagt die Kindergärtnerin zu mir:

Ach, kennen wir uns nich?
Ja, ich hab ne Weile mit Deinem Mann geschlafen. Aber das war vor der Hochzeit. Also so gut wie.

Hab ich dann doch nicht gesagt, wär ja ein blöder Anfang gewesen.
Muss da ja nun öfter hin.

Der F. hat in einem handschriftlichen Brief mitgeteilt, dass er im April Vater einer Tochter wird. Der Brief war sehr nett. Ich habe das jetzt eine Weile geübt und nun schreibe ich es hierhin: Ich habe diesen Mann irrsinnig geliebt. Er hat mich sehr verletzt und sich unzählige Male dafür entschuldigt. Ich denke, ich kann das demnächst mal gut sein lassen. Zurückschreiben will ich trotzdem nicht. Seit Jahren habe ich mir diesen Moment  ausgemalt. Und jetzt: Ja. Sehr eigenartig. Aber nicht so schlimm.

Insgesamt: Schwere Zeiten. Um mich herum wird viel verrückt geworden. Ich vergrab die Hand in Trotzkis Fell. Irgendwann kommt die Sonne wieder raus.

 

Krakeelen

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Befremdet über die Einträge bei der Datenkrake, befremdet über manch ein Blog, das ich lange lese (und das hat gar nix mit Paris zu tun), jetzt neu befremdet über den Eifer, mit dem man Charlie oder eben NICHT Charlie ist (einnert mich an die Eiskübel). Befremdet über die Verwandschaft und ihre lauten und abwegigen Thesen. Mal wieder über die vielen Meinungen überhaupt. Und über das stetige Bedürfnis, lauthals und ohne Unterlass den anderen mitzuteilen, dass sie im Unrecht sind. Befremdet über mein dauerndes Befremdetsein. Ich fühle ich zu fast allem fremd, ich habe ständig eine ander Meinung (so wie alle anderen) und ich übe wieder mal Maul halten. Das befremdet mich, den ich hab einige Jahre Maul aufreissen geübt. Ob Charlie Hebdo vielleicht eine rassistische und sexistische Zeitschrift ist. Ob das Abendland bedroht ist. Die Meinungsfreiheit. Ich zucke mit den Schultern und murmle keine Ahnung. Die einen sagen so, die anderen sagen so. Ich fühle ein großes Unglück darüber, wie die Welt ist, aber es fällt mir wenig ein, was ich tun könnte. Das, was mir einfällt, versuche ich.

Hier: Gestrichen.

Ich stell das jetzt mal hier rein. Damit hier mal wieder was steht. Meine Meinung.