Mein täglich Ich #01

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Eigentlich sollte es ja weniger ICH werden, aber das kommt mir gerade richtig vor. Den Tagen nachfühlen. Ein bisschen. Festhalten. Gegen das Verschwinden. Vergehen. Verblassen.

Mein Tag beginnt immer gleich, gestern allerdings früher also sonst: Ich habe einen Termin! Yay!

Dem Trotzkiquengeln nachgeben. Duschen. Mein erster Gang immer zur Greisin:
Lebst Du noch?
Ja. Brumm.
Dann ist gut. Schlaf weiter.

Es ist noch dunkel.
Der fette Kater (mindestens 3 Kilo Winterspeck) steht vorwurfsvoll vor der Tür. Brüllt. Er kann rein und raus wie er will. Aber morgens soll ich. Voralpenrind will er. Alle bekloppt.
Kater füttern.
Vögel füttern.
Runter zur weissen Trine:
Lebst Du noch?
Ja.
Dann ist gut.

Pferd füttern. Hals Klopfen. Ach. Altes Pferd.

Feuer machen. Bis hier hin ist alles wie immer.

Ich hab das Auto oben ander Strasse stehen lassen. Die hatten ja Schnee vorhergesagt. Es ist tatsächlich ziemlich eingeschneit und ich fege und kratze 15 Minuten. Fahre sehr vorsichtig den Berg runter zur Bäckerei der Kusine. Butterbrezel und Cappucino. Sie erzählt von der sinnlosen profilneurotischen Langatmigkeit der gestrigen Versammlung. Ich weiss genau wovon sie spricht.

Dann hole ich E. und M. ab, um sie zur Sprachschule zu fahren. Integrationskurs. E. ist wahnsinnig aufgeregt, erzählt mir später die Nachbarin. Und ich ein bisschen brutal. Das kannst Du alleine sage ich und drücke ihr eine Papier mit den Busfahrzeiten in die Hand. Für die Heimfahrt. Denn meine Sitzung dauert sicher länger als der Einstufungstest.

Der Helfer- und Unterstützerkreis tagt. Das ist eine sehr kuriose Ansammlung sehr netter und sehr unterschiedlicher Menschen, die sich seit achtzehn Jahren für die hier untergebrachten Flüchtlinge engagieren. Zwei Leute vom Landratsamt sind da und beantworten rechtliche Fragen. Ich kapier’ das noch immer alles nicht. Titel. Duldung. Abschiebung. Wer wann welchen Schein braucht.

Es wird im März eine neue Sammelunterkunft geben. Für 80 Personen. Die Leute in diesem Dorf sind noch nicht informiert. Der Landkreis hat ein sehr eigenartige Attitude bezüglich der Miteinbeziehung der Bevölkerung. Ja klar, um zum fragen ist gerade nicht die Zeit, der Fluss der aus Karlsruhe zugeteilten Flüchtlinge reisst nicht ab. Alle Unterkünfte sind voll. Wohnungen will keiner vermieten. Aber so?

Ich erzähle von der Neckar-Odenwald-Facebookflüchtlingshilfeseite, weil ich inzwischen schon so oft gehört habe, dass Leute helfen wollten und, wie ich, keinerlei Ansprechpartner gefunden haben. Oder was abzugeben haben. Oder was suchen. Hier, scheint mir, hören die Leute Facebook und sind sofort dagegen. Bleib uns bloss damit weg. Einer fällt mir ins Wort wegen was anderem. Ich sag nix mehr, nach zwei Stunden, es wird noch immer geredet, gehe ich.

Einkaufen. Wenn man auf einem Berg lebt, fern von sonstiger menschlicher Besiedelung, und wenn man wie ich Einkaufen hasst, legt man Vorräte an. Damit man nicht so oft einkaufen muss. Früher, die Greisin ist ja ein Kriegskind, hatten wir eine riesige stromfressende Tiefkühltruhe, in der das halbe, von den Nachbarn für uns gemästete Schwein lag. Im Drahtschrank daneben hingen Schinken und Speck. Die Truhe wurde irgendwann abgeschafft, auch sonst habe ich die Vorratshaltung eingedämmt, dennoch kaufe ich für länger. Die Bier- und Wasserkisten schaffe ich mit dem Schlitten runter. Das ist eine echte Herausforderung.

Der Greisin ist blümerant. Schon seit Tagen. Legt sich wieder hin. Ich esse ein Stück Quarkkuchern im Stehen. Und renne noch zum Schreibtisch, um die Post zu erledigen. Wenigstens zum Teil.

Um drei bin ich mit dem Patentkind zum Englischlernen verabredet. Eigentlich will ich den Trotzki mitnehmen und das Kindlein zwingen, dann noch ein bisschen mit uns zu spazieren. Der ist aber mit der Nachbarin und deren Neffen verschwunden. Wenn hier ein Kind auftaucht bin ich komplett abgemeldet. Auch gut. Nervensäge.

Macht es prima, das mit dem Englisch. Nur Das TH. Zum Abschluss kucken wir Evelyn Hamanns Zusammenfassung der Folge von Zwei Cousinen. Finden Kinder heut sowas noch lustig? Das Patentkind schaut hochkonzentriert zu, verzieht kaum eine Mine und behauptet dann, es sei sehr lustig gewesen. Und ob das echt sei. Ich erkläre, wer Loriot ist und wir schauen noch Dr. Klöber und Herrn Müller-Lüdenscheit beim baden zu. Same. Hm.

Heim. Zwei Tonnen Scheisse schaufeln. Pferd versorgen. Pferd streicheln. Ach, altes Pferd. Greisin streicheln. Trotzki streicheln. Kater streicheln. Essen für alle organisieren.

Kürbis? Ne. Ich rühre uns eine Amatriciana zusammen, das ist so ein tröstliches Essen. Und Trost ist grad gut.

Ein bisschen Arbeit noch. Ist eh grad nicht viel, das ist schön.

TV. Heia.

4 Gedanken zu „Mein täglich Ich #01

  1. Maphisti

    Das hört sich für mich alles etwas traurig an und macht mich sehr nachdenklich. Vielleicht verstehe ich das aber auch wieder falsch. Auf jeden Fall führen Sie doch ein sehr vielseitiges und reiches Leben und haben die Gabe und vor allem den Mut, sich den unterschiedlichen Anforderungen zu stellen, um die damit verbundenen Aufgaben annehmen zu können.

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  2. Friederike

    Oh, Sie waren mir aus dem feedly herausgerutscht, deswegen sehe ich das ja jetzt erst. Die facebookabneigung ist nervig, und viele der Asyl-Helfer sind genau in dem facebookabneigungsalter. Aber für die Vernetzung ist das ein geniales Medium. Die Netzwerk-neckar-odenwald facebook-Seite hat inwzsichen über 500 Fans, und da geht richtig was. Ich bin sehr zuversichtlich und empfehle das jedem zur Nachahmung. Gegen alle Abneigung.
    Liebe Grüße, halten Sie durch.

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