Archiv für den Monat: November 2012

Wenn ich mich schon grad aufrege,

ebenfalls für dumm verkauft fühle ich mich, wenn die Verfassungsschutzchefin Claudia Schmid mitteilt, das wiederholte Schreddern von Akten über Rechtsextremisten sei natürlich ein Versehen. Und „Hinweise, dass die Akten einen Bezug zum ‚Nationalsozialistischen Untergrund‘ (NSU) hätten liefern können, gebe es ‚derzeit‘ nicht.“

Kommt mir vor, wie diese Zeitungsnotizen: Schwarzafrikaner in U-Bahn von sieben glatzköpfigen Männern zu Tode geprügelt. Einen rechtsradikalen Hintergrund schliesst die Polizei aus. Oder so ähnlich.

Ach, Ex-Chefin. Na, immerhin.

Waldhauserin

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Das nicht sehr kleine alte Haus, in dem ich mit der Greisin lebe, ist 1937 für eine einzelne Person gebaut worden: Die Frau, die man im Dorf die Waldhauserin nannte, Elisabeth von Walthausen, der Legende nach Hamburger Innenarchitektin.

Eine Ehe, von der sich beide Beteiligten versprachen, zu Geld zu kommen, hat sie wohl nach Süddeutschland verschlagen: Das Arrangement hatte sich rasch erledigt (er sei ein ein Fabrikant gewesen, leider pleite, wie sich bald rausstellte) und mit den letzten Kröten, die ihr nach der Währungsreform 1923 von einem einstmals grossen Vermögen geblieben waren, kaufte sie den Lehenhof, ein großes Gut nicht weit von hier, heute fest in Antroposophischer Hand. Das brannte ab, und für den Erlös der Ruinen schwatze sie unserem nachbarlichen Bauern ein Stück Unland ab, auf dem sie dieses Haus baute. Und legte einen englischen Garten drumherum an, mit Grotte, Mammutbäumen und vielen kleinen lauschigen Plätzchen, an denen man den Fünfuhrtee nehmen kann konnte.

Es gibt auch noch eine schöne Widerstandslegende, die wohl tatsächlich der Wahrheit entspricht: Der Pfarrer des Nachbardorfes hatte zum Kriegsende den Franzosen die Panzersperren geöffnet, die sich aber leider noch einmal zurückzogen. Woraufhin die Nazis den Pfaffen suchten und nicht fanden: Die Waldhauserin hatte ihren alten Freund bei sich versteckt. Ich finde ja die Vorstellung viel schöner, die beiden hatten eine leidenschaftliche Affäre, als die Nummer mit dem spirituellen Seelverwandtschaftsding.
wald
Nach dem Krieg war das Geld engültig alle, sie hatte aber ein paar gute Ideen: Eine Beeren- und eine Deutsche Doggenzucht, beides ausserordentlich einträglich. Sie arbeitete den ganzen Tag im Garten und einmal in der Woche ging sie auf den Markt, um die Früchte dort mehr schlecht als recht zu verkaufen. Als sie eines Tages nicht erschien, suchte man und man fand sie leblos in den Rabatten.

Sie wurde wieder aufgepäppelt, entschied aber, sich von Haus und Grund zu trennen, es fanden sich Käufer, eine wohlhabende Stuttgarter Familie, die ihr sogar das lebenslängliche Wohnrecht einräumte und ein Dienstmädchen finanzierte. Die beide hatten einige wenige gute Jahre, sie starb bald. Keine Ahnung woran, sehr alt wurde sie nicht. Die Stuttgarter nutzten das Anwesen nur zum Ferienmachen, bald hatten sie die Schnauze voll von der vielen Arbeit, die sie erwartete, wenn sie hier ankamen und wollten es wieder loswerden. Es stand dann viele Jahre hier so rum und wurde nicht besser davon.

Der Kindheitstraum meiner Mutter war, wie diese exzentrische Person zu leben, die sie aus deren Besuchen in der Bäckerei kannte, mutterseelenallein mit vielen Tieren, weit ab von allem, dort wo sich keiner einmischt. Letztendlich war es aber mein Vater mit seiner Städternaivität, der sie überredete, das Haus zu kaufen. Der ebenfalls keine Ahnung hatte, wieviel Zeit man hier reinstecken muss. So ist es dann auch geblieben, meine Mutter hat im Garten gerackert und mein Vater ging zum Segeln.

Ich vermute, ich werde auch eine Art Waldhauserin werden, eine komische etwas grosstädtische Person, die hier in grossen Salons mit vielen Tieren lebt und mit der Arbeit nicht rumkommt. Möge man mich in den Rabatten finden, falls es nötig ist.

Dieses Portrait am Anfang ist ungefähr zwei mal drei Meter gross und hägt im Treppenhaus. Einer ihrer Künstlerfreunde hat es gemalt. Ich kann es gut leiden.

mal so mal so

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Als frühreifer Teenager der 80er Jahre habe ich völlig sorglos ein Vielzahl der damals existierenden Jugendkulturen gestreift. Nachdem einer ersten verirrten Nenaplatte, war ich verliebt in die grosse Schwester meiner damaligen besten Freundin und die war eine Waverin. Deren Musik (den Text von Our Darkness kann ich noch immer auswendig) haben wir heimlich auf Cassette überspielt und sind nach Zürich gereist, um dort bei Booster spitze Schuhe zu kaufen. Den Kopf hielten wir dabei schief, wegen unserer asymetrischen Frisuren. Die Schwester ist dann nach London gezogen, wir haben etwas die Orientierung verloren und irrten noch ein bisschen bei den New Romantics herum. (Kein Frisuren-Film: Wir Kinder vom Bahnhof Zoo)

Die Peergroup schwenkte kollektiv zu Rockabilly, ich zog die mütterlichen Petticoats aus der Mottenkiste und liess mir ein Kleid nähen (rot mit Polkadots, jawohl, hab ich noch), ausserdem gab es den passenden Schweizer Verehrer mit altem Amischlitten. Musik: Stray Cats. Schuhe zu Hosen: Creepers vom Booster in Zürich. (Film: Absolute Beginnes tststs …, The Wanderers)

Aber so richtig mochte ich dieses traditionelle Getue nicht, da kam dann Psychobilly gerade recht. Ich kaufte also neue Schuhe bei Booster, diesmal meine ersten DocMartens und schupste mit bei The Cramps und The Meteors-Pogo, vorallem in einem Jugendhaus im Allgäu (da haben sie alle gespielt). Der eine oder die andere kam in dieser Zeit vom Weg ab (in diesem Fall eben nicht vom rechten) und verlor auch den Rest Frisur. Es gab immer mehr Streit und immer mehr Skinheads. Das gefiel mir nicht, und ausserdem trat dieser Vespafahrer in meinem Leben, der trug einen Parka und das Haar eher lang (und richtiger Ska war auch überhaupt viel toller). Tatsächlich hielt aber weder die Liebe zum Parkarträger noch zu den Mods im Allgemeinen besonders lange vor, nur die zu Vespa und Großbritannien ist geblieben. (Film: Quadrophenia)

Dann wieder rückwärts: Auf das Open Air in Ulm 1990 bin ich nicht etwa wegen Bowie sondern wegen der Pixies, New Model Army und Midnight Oil gefahren (Bowie war dann aber über alles erhaben). In der Schuldisko bekämpften wir beim Plattenauflegen mit Sisters of Mercy die R n‘ B-Abteilung, in Tübingen habe ich einer verquollenen, aber noch immer faszinierenden Anne Clark gelauscht (den Text von Our Darkness kann ich noch immer auswendig). Bei der Kleidung schlug sich das mittlerweile kaum noch nieder. Die war eh schwarz. Und es wurde endlich politisch, gaaaanz links, fast ein bisschen zu weit.

Danach gab es ein kurzes Hippieintermezzo mit Klimperklimperkettchen überall und Henna in den Haaren (und einer Sprachreise nach Nimbin).

Mit Berlin kam endlich ein bisschen Punk. Palituch und Bomberjacke (billig!), in besetzten Häusern rumhängen, Antifademos und abgebrochene Mercedessterne (aber da war ich fast schon erwachsen ;) Musik: Krach in modrigen Kellern. (Film: Sid & Nancy)

Danach wird es recht unübersichtlich.

Wir Provinzhühnchen hatten jedenfalls kaum Ahnung, wem oder was wir da nacheiferten (Internet gab’s nicht und an Informationen war schwer ranzukommen, der Südkurier so wenig das richtige Medium wie die Bravo). Von jeglichem ideologischen Unterbau befreit haben wir uns in erster Linie bemüht, dem Provinzmief zu entgehen und irgendwie aufzufallen.

Ich war 13, als meine damalige beste Freundin und ich uns mit heissen Nadeln gegenseitig Löcher in die Nasen gebohrt haben, um dann trotz überwältigendem Protest (sehr kurz) ein kleines Glitzersteinchen im Gesicht zu tragen (ich hab dann aber schnell kapituliert). Von den 25 Ohrlöchern ganz zu schweigen. Hui, das Aufsehenerregen war damals nicht schwierig.

Kleinmontez

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Es gibt ein paar Konstellationen, in denen die ansonsten ganz patente Montez zu einer verschüchterten Idiotin mutiert.

Eine davon ist die Konfrontation mit Handwerkern, und zwar nicht mit den dienstlichen, mit denen flutscht alles ganz Chefmäßig (da kenne ich mich ja aus in der Materie), sondern denen, die ab und zu diese klapprige Bude zusammenflicken.

Es gibt hier nun eine neue Dachrinnenkonstruktion, die ist so himmelschreiend, dass ich eigentlich in Tränen ausbrechen müsste. Und vorallem hab ich noch zu dem Kerl gesagt Wie wär’s, man könnte das doch so und so machen …, der dann so Nääää, das geht auf keinen Fall, ich komplett verunsichert Ah, ja, ok, ach, dann nicht, und jetzt schau ich es an und könnte schreien (oder in Tränen ausbrechen oder beides), und dann ist da noch der Chef, der will Geld und ich muss sagen, dafür gibt es kein Geld, und dann knurrt er bedrohlich und dann fürchte ich mich usw. usf.

Und das Damenkränzchenhochzeitsvorbereitungskompetenzgerangel ist völlig aus dem Ruder gelaufen (da wiederum grätsch‘ ich voll rein), inzwischen glücklicherweise von der sehr besonnenen D. etwas deeskaliert worden.

Und lauter sonst noch.

Kein Seh

Wunschgemäss setzten wir die Serie Wetter vor dem Schlafzimmerfenster an dieser Stelle fort:

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Heute früh am Morgen ist noch alles offen

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Aber jetz: Ätsch! (Ihr da unten, wir da oben)

Post aus Berlin

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Seit einiger Zeit schreibt der F. ungefähr alle zwei Monate ein zärtliches Email (er ist der einzige Mensch, den ich kenne, der unermüdlich DAS Email sagt). Die habe ich sonst kurz, nüchtern und höflich ohne Rückfragen beantwortet, nachdem die anfänglich intensive Korrespondenz zumindest auf meiner Seite immer so tränenreich war und mich um Kilometer zurückgeworfen hat.

Gestern liess ich mich drauf ein, weil er mir so treuherzig die neusten (tendenziell dramatischen) Neuigkeiten erzählte und frug ein wenig nach. Nein, das lassen wir zukünftig wieder. Ich will das alles nicht wissen. Ich will nicht. Nein nein. Will ich nicht. Ist mir jetzt wieder eingefallen.

Ach, wie lange das noch gehen mag. Für den Kommunisten habe ich vier Jahre gebraucht. Aber das war ja auch das erste Mal Verlassenwerden.

Brautmoden

Die S. vom Damenkränzchen wird am Anfang Dezember heiraten.
Ihre recht neue Freundin F.

Als dieser erlesene Zirkel sich einst zusammenfand, waren zwei der sechs frisch verlassen, eine dauerhaft verheddert in Absprungversuchen (ich), zwei weitere seit tausend Jahren alleinstehend (was für ein Wort) und eine glücklich verheiratet (ist es noch). Kinder gab es gar nicht, aber viel Ehrgeiz und zielstrebige Karrierepläne. Ausser bei mir.

Inzwischen ist die eine immer noch verlassen (mittlerweile ziemlich unfrisch, aber die Karriere flutscht), die andere hat Mann und Kind, ich bin alleinstehend, die D. ist in heisser Liebe entflammt, und die S. hat sich nach einer langen unerquicklichen Affäre mit ihrem verheirateten Chef der Weiblichkeit zugewandt. Und interessiert sich nun mehr für Fussball und Katzen als für ihren Werdegang (ehemals angestrebtes Ziel: UNO-Generalsekretärin). Sie macht einen sehr guten Eindruck. Und besteht auf eine, wie die D. das nennt Sahnetortenhochzeit, mit allem Pipapo, vermutlich in weissem Tüll. Sowas gibt es wirklich. Langsam haben sich auch die greisen Eltern wieder eingekriegt.

Für derlei Festlichkeiten werden ja von den Liebsten unterhaltsame Beiträge erwartet. Man korrespondierte also hin und her, und unsere tatkräftige Politikerin riss wieder mal alles an sich erklärte sich bereit, fingierte witzige Tagebuchbeiträge zu verfassen, die wir dann wechselweise vortragen.

Wie Sie sicher schon bemerkt haben, kann ich kaum einer Reiberei aus dem Weg gehen. Hier war ich also bockig, weil ich unterstelle, die K. traut uns anderen nix zu. Aus reinem Trotz, oder vermutlich eher weil die D. und ich kaum mehr hassen, als vor Publikum etwas aufzusagen (die anderen Damen sind echte Rampensäue), haben wir gewaltsam die Illustration der Beiträge übernommen. Und gestern den ganzen Tag Tränen gelacht, während wir diese Fotos gemacht haben. Vermutlich findet sie ausser uns niemand lustig, egal, der Tag war es wert. Hier ein Auszug (die Texte sind leider geheim):

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Skatreiche Studienjahre in York

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Missglückter Badeurlaub in Indien

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The ♥ End mit Hauskatze in zweifelhaft möblierter Wohnung

Bevor es dazu kam, waren wir kinder- und ahnungslosen Ladies gezwungen, ein Spielwarengeschäft aufzusuchen. Mir graut es immer noch, hielt ich doch das Mädchenüberraschungsei für den Gipfel der Doofheit. Nun aber kenne ich die Rosaglitzerblitzrüschenpantöffelchenblondiehölle. Was ist nur geschehen? Dafür sollen unsere Mütter all die bittere Kämpfe gekämpft haben?