Archiv der Kategorie: Berliner Luft

Illegal

Aus komplizierten Gründen heisse ich seit einiger Zeit Montez-Müller (ne, nicht geheiratet, das ist wohl in diesem Leben nicht vorgesehen, macht nix). Aus trägen Gründen bezahle ich meine Steuern noch immer in Prenzlauer Berg und bin in einer Wohnung gemeldet, die vermutlich inzwischen von einem Zahnarzt und seiner hochgewachsenen Gattin bewohnt wird. Aus zerstreuten Gründen kann ich mich nicht erinnern, wohin ich die Urkunde mit der Namensänderung abgelegt habe (Berlin?). Aus schlampigen Gründen hab ich mittelunlängst mal wieder meinen Geldbeutel verloren. Mit allem Zeug drin.

So. Daher muss ich nun Personalausweis und Führereschein neu machen lassen. Kann man ja gleich beim Ummelden (Kreuzberg!) machen, dachte ich. Und aus dieser Kirche ausstreten. Geht alles nicht ohne Urkunde. Ts. Wo anfangen?

Ich seh schon, das wird wieder nix.

Ich freu mich trotzdem: Hallo Berlin, bin gleich da!

Übermut, jugendlicher

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Geld war ja nie da. Brauchten wir auch nur manchmal, für Miete (ganze Wohnung 200 DM durch zwei), Bücher, Ausgehen. Und mal nach New York.

Bei Kaiser’s in der Pappelalle haben wir ab und zu was eingesteckt, bis eine erwischt wurde, mit allem drum und dran, Good Cop Bad Cop im Hinterzimmer, Hausverbot, ist wohl abgelaufen, und letztlich eigestelltem Verfahren. War uns eine Lehre, danach wurde immer alles brav bezahlt, und das meiste sowieso im Bioladen in der Wichertstrasse gekauft. Ja, sowas gab es auch schon 1995 in damals noch entlegenen Gegenden, er hiess Uckermarkt und wurde von ein paar langhaarigen Ossis betrieben. Man konnte Kohl in allen Farben kaufen. Kartoffeln. Rüben. Natürlich kein Fleisch, schon gar nix Tiefgefrorenes. Am schwarzen Brett informierte man sich über Bürgerbewegtes. Spater hatten wir dann eine Biokiste von einem Prignitzer Lesbenkollektiv. Mit Rüben. Und Kohl.

Geldbeschaffung fand in meinem Fall durch einen mehr als depremierenden Job in der Markt- und Meinungsforschung (Gute Nacht, äh, Guten Tag Deutschland) und im Fall der Mitbewohnerin in der Gastronomie statt. Tatsächlich haben wir, immer wenn es etwas Besonderes zu feiern gab, alle Kröten zusammengekratzt und sind völlig unverhältnismäßig essen gegangen. Das kam in etwa zwei Mal im Jahr vor, am Liebsten in den Offenbach Stuben (schmerzvoller Seufzer), aber manchmal auch wo anders. Einmal in einem Restaurant namens Rosenbaum, das einem heute wie eine Prophezeiung vorkommt, damals eher wie ein verirrtes UFO. Die Mitbewohnerin hat während des Essens ganz frech nach einem Job gefragt (wir waren jung und … manchmal) und ihn tatsächlich bekommen. In einer Zeit, als der P-Berg noch dreckig, arm, laut und lustig war, kamen diese romantischen Irren auf die Idee, ein gehobenens Restaurant zu eröffnen. Beim Gugeln habe ich gerade gesehen, dass Tim Rauhe damals der Küchenchef war, hm, ja das Essen war prima. Bald gab es Fensterläden aus Metall gegen das Einschlagen der Scheiben, Kundschaft aber keine. Und fluxi ging die ganze Sache den Jordan runter, heute ist das Ding zum hundertsten mal verpachtet, zuletzt war da was Russisches, wenn ich mich recht entsinne.

Die Mitbewohnerin fand über geölte Beziehungen was im Obst und Gemüse (schmerzvoller Seufzer), dieser schummrig beleuchteten Bar, wo ich meinen allerersten Kaffee im Glas bekam. Hinterm Tresen arbeitete Berlins schönster Mann, der später von seiner damaligen Liebsten sehr unvorteilhaft in einer Kurzgeschichte verewigt wurde, ich hab mich schlappgelacht, als ich nichts ahnend in einem Bestseller darüberstolperte. Diese Schriftstellerin mit der eindrucksvollen Nase konnte sehr viel Whisky trinken, ohne vom Barhocker zu fallen, das habe ich mehrfach genau beobachtet.

Ein paar von der Belegschaft machen immer noch Gastronomie, zum Beispiel den Schleusenkrug mit seinem wunderbaren Biergarten, oder Conni ihr winziges Conni Island, das sie mit viel Herzblut betreibt und wo man immer jemand trifft.

Ich hab vergessen, warum mir das heute morgen beim Ausmisten eingefallen ist. Ist es aber. Sind wir etwa schuld an Allem?

Jetz wirklich heute

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vor 20 Jahren bin ich nach Berlin gezogen (hatte mich noch um zwei Tage vertan).
Und ziemlich ungefähr heute vor zwei Jahren bin ich wieder an den langweiligen hübschen Bodensee zurückgekehrt. Aber manchmal darf ich nach Kreuzberg.

Grad fehlt es mir ein bisschen, das dicke stinkige B. Obwohl es mir sowas von zum Hals raushing. Aber es konnte auch nicht alles dafür. Aber schon auch.

Nachschlag (und dann ists gut)

Nicht zu fassen. Ich grabe mich ja noch immer durch Berge alter Texte erschreckenden Inhalts. Dabei fand ich auch das. Kommt ganz fast ohne Ethnien aus und zeigt, dass das Problem schon ein paar Tage alt ist. Von 2002. Und meinen Leserbrief an die TAZ. Auch von 2002 (wurde nicht veröffentlicht). Scheint, als war ich da schon sauer (bin ich jetzt nicht mehr, geht mich ja nix mehr an):

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Geschätzte Ureinwohner,

jaja früher war alles noch so toll hier, alles hattet Ihr für Euch, ein ganzer Stadtteil voll schreibender Dissidenten oder saufender Dichter oder dichter dissidenter Schreiber und praktisch kaum Stasi.

Aber dann kamen wir, die verwöhnten Blagen aus dem imperialistischen Feindesland. Selbstverständlich wurde uns vom ersten Augenzwinkern der Puderzucker in den Arsch geblasen und so kauften unsere Eltern gleich Tausende und Abertausende Eurer Häusern, um für unsere standesgemässen Wohnverhältnisse zu sorgen.

Dabei blieb es nicht, nicht nur die Wohnungen nahmen wir Euch, nein auch die Frauen und die Arbeit, und nun saufen wir hier, natürlich kein Bier, nur die exotischsten Cocktails, für die wir mit grösstem Vergnügen mindestens acht Euro berappen, dralle Thüringer Mädchen auf dem Schoss, an deren Ohrläppchen wir lutschen und schreiben für die de:Bug und so.

Und ich sag Euch was, ich kann Euer Gejammer nicht mehr hören. Denn wir sind stolz auf jede einzelne Filiale unserer Feinkostketten, auf jede unserer Kaffeebars, unsere billigsanierten Mietshäuser, unsere Saabcabriolets, die wir auf dem Bürgersteig parken und unsere unbezahlbaren Maisonettewohnungen mit Dachterrasse.

Ihr solltet lieber dankbar sein. Für all das, was wir für Euch getan haben, denkt doch nur an all die Durchlauferhitzer, die knorken Badezimmerkacheln und nicht zuletzt auch die Errungenschaften der modernen Telekommunikation.
Ohne uns müsstet ihr doch immer noch zentnerweise Kohlen schleppen und zum kacken eine halbe Treppe rauf.

Mit freundlichen Grüssen

Eure Montez

Industrie Technik Kultur

Ich leiere das ja schon lange: Wenn schon Berlin, dann Schöneweide. Aber es hört ja niemand (hat vielleicht auch sein Gutes, wir wissen ja, wie das läuft).

Und dann gleich eine ganze Fabik, wie die G. und der R., die wohnen und arbeiten in der ehemaligen Wehrmachtsuniformschneiderei. Haben sie in den 80ern für lau gekauft. Nachdem wir einen wunderbaren Abend zusammen verbracht haben, überlegen die G. und ich, ob wir uns eigentlich von früher kennen. Und stellen dann fest: Sie war meine Professorin im ersten Semester. Hätte sie mal gleich ihren Nachnamen gesagt. Ist ja schon eine Weile her.

Wieder Post

Seit einiger Zeit schickt das Ausland mir Emails. Ich schob sie genervt in den Spamordner zu den Immobilienangeboten aus Ulaan Baator
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und den verheissungsvollen Versprechungen von Herrn Morris und seinen Brüdern und Cousins (sogar auf deutsch inzwischen).
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Aber heute morgen, nur das Universum weiss warum, hab ich die neuste dann doch gelesen. Und mein Herz klumpte zusammen in nostalgischer Sehnsucht. Mal wieder. Das Ausland. Gibt es noch. Ist nicht mehr ganz das gleiche wie damals. Aber bisschen wenigstens.

Vielleicht, ganz vielleicht, werde ich die nächsten Tage einen Spaziergang durch die LSD-Strassen machen, nicht um japanisch zu essen, sondern um mich ganz den wehmütigen Erinnerungen hinzugeben.
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Die Fünf Ziegen, wo ich mit dem seltsamen Journalisten und seinem klugen Freund zwischen den Unionfans rumhing (der Freund wurde dann ein ganz grosser in der Blog-Welt, das war aber in der Vorblogzeit), das Schlimmann, das gute verqualmte (ne, oder?!), in dem so viele Nächte endeten (und Morgen anbrachen). Einmal bin ich mit dem A. dort gestrandet und es wurde höchst prekär, da er mit seinem Barbourjäckchen, dem hellblauen Hemd mit den weissgoldenen Manschettenknöpfen und seinem ungehobelten Mundwerk gar nicht gut ankam. Ein glänzend polierter Fremdkörper. Ging aber gerade noch gut. Ging eigentlich immer gerade noch gut. Aber knapp.

Hauptstadt

Sensationell, wie ich mich in Kreuzberg nicht auskenne. Nicht mal die Himmelsrichtungen hab ich drauf. Gerade minutenlang auf dem Stadtplan meine Strasse gesucht und dann bass erstaunt gewesen in der Nähe von was die alles liegt. 20 Jahre Berlin. Heureka.

Schliemannstrasse

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Soll man ja nicht machen. War auch keine Absicht. Beim Suchen nach etwas völlig Anderem bin ich gestern wiedermal in den alten Texten hängengeblieben. Und hab mich festgelesen, verblüfft darüber, wer ich einmal war. Und was ich im Vergleich dazu für eine trutschelige hausbackene Person geworden bin. Den Rest des Tages habe ich mit Unterbrechungen darüber nachgedacht, wie ich das finde. Und wie das bei den Freunden so ist. Ausser bei der Schauspielerin (selbst die hat kindswegen aufgehört zu rauchen, von Tabledance ganz zu schweigen), ist allerorten die Sofakultur eingekehrt. Essen mit Freunden statt Morgenzigarette vor dem Club.

Als ich vor einiger Zeit morgens einen Jugendschwarm an der Strassenbahnhaltestelle getroffen hab, mit riesigen Pupillen und ein paar Platten unter dem Arm, ging mir das tagelang nach. Der kam gerade vom Auflegen nach hause, ich war auf dem Weg zur Arbeit. Es kam mir würdelos vor, und ich fand, der C. versuche krampfhaft seine Jugend festzuhalten. Und dass das auf keinen Fall Spass machen kann.

Und während ich so missgelaunt, unzufrieden und vorallem ergebnislos vor mich hindachte, fiel mir dann doch noch das letzte Silvester ein. Das wildeste seit Menschengedenken. Mit trunkenen Geständnissen vor der Klotür, mit Eifersuchtsszenen bis hin zu Handgreiflichkeiten, irren Gesprächen mit irren Pianisten, die Errettung durch den Schimanski, aufwachen in der geheimnisvollen Wohnung einer Fremden nach zwei Stunden Schlaf. Musste mich zwar lange erholen, habe mich aber grossartig gefühlt. Die Stiefel konnte ich danach wegschmeissen.

Aber einmal im Jahr reicht. Ist ja auch sehr ungesund.

Der Bassist ist ein ganz schräger Vogel. Seine schwarze Brille rutscht in die Mitte des Nasenrückens, wo sie vom Höcker gebremst wird. Er redet und bewegt sich so langsam, wie sich das für Bassisten gehört, ich verstehe nicht, was er mir sagt und das liegt nicht an seinem Akzent, das ist die Augenaufreissichbinwilderkünstlermasche. Im Schliemann, liegt ja auf dem Heimweg, dem gemeinsamen, gibt es noch mehr zu trinken, wir sitzen mittendrin zwischen den Oberabgefuckten. Oberabgefuckt.

Hey Joe, sage ich ohne mit der Wimper zu zucken, das kann ich prima inzwischen, und Joe singt in mein Ohr

I met this girl for the first time on Saturday night
Standing in the queue at the Odeon alright
Then I took her by surprise
When I threw her one of my lines
She started smiling and being real fine

2001

Kursiv sieht echt blöd aus.
Und besser war das nicht. Nur anders.

Stubbenkammerstrasse

Hey Joe, sage ich und muss dabei kichern. Deshalb versuche ich es nochmal. Hey Joe, sage ich also, spielst Du mir mal was vor irgendwann? Joe ist nämlich Bassist und sein Kontrabass steht im Zimmer der Amerikanerin. Mehr so experimentell, soweit ich hören konnte. Vermutlich haben sie ein Verhältnis, oder hatten eins, seit die Amerikanerin bei mir wohnt, gehen die Experimentellen ein und aus. Lauter Verhältnisse.

Als Joe aufs Klo geht, versichern wir uns, dass es okay ist, wenn die andere ihn mitnimmt. Es ist schon hell draussen und reden können wir alle drei nicht mehr richtig. Ich gehe jetzt, sage ich, kann nicht leiden, bei den Letzten zu sein, um die herum aufgstuhlt wird. Immer Bassisten, hunderte von Bassisten habe ich getroffen, wer braucht die eigentlich alle?

schrieb ich auf am 20.07.2001. Bevor ALLES anders wurde. Die Amerikanerin hat inzwischen ein paar Jahre in Marseille gewohnt und ein Kind von einem nichtsnutzigen Franzosen bekommen. Jetz erzieht sie allein in Berlin. Kurz vor dem grossen Finale habe ich sie in unserem Hof (vom F. und mir) getroffen, sie kam von einem Kindergeburtstag. Ich war so perplex, dass ich kurz vergessen habe, dass wir nicht mehr miteinander sprechen und hab ihr meine Visitenkarte gegeben. Meine Visitenkarte. Ich war wohl völlig neben mir. War ich auch, mitten aus einer hässlichen Szene getürmt. Ts. Joe ist sicher wieder in Kanada. Kommt mir vor, als wäre das tausend Jahre her. Oder noch länger.

1990

Und da ich ja momentan auf der Memory Lane wandle, passt dieser Film Berlin Prenzlauer Berg 1990 von Petra Tschörtner wie die Faust aufs Auge. Er hat mich sehr berührt.

Traurig, wie viel Heimat die Menschen verloren haben. Nicht die Diktatur DDR (keiner, den ich kenne, trauert dem System nach) vielmehr die vertraute Umgebung, die Eckkneipe, die Subkultur, die Kollegen, die Rituale. Heute nur noch ein: „Weisst Du noch?“

Vieles kenne ich noch selbst vom sehen, und vieles kommt mir vom hören bekannt vor, fast alle meine Freunde damals waren aus Ost-Berlin, die Wende war das ewige Thema. Und ja, der Kommunist ist auch im Film. Demonstrierend (in) seine(r) ganze(n) Schönheit.

via Don Dahlmann.

Dann ist’s aber mal gut mit früher.