ist ein blöder Tag, der an allen Ecken zieht. Und zerrt. Aua.
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# undjetztzwölf
Passiert
Am Freitag ist es soweit. Es bricht mir das Herz. Wie immer hatte ich es unmäßig an etwas, an jemanden gehängt, gar nix mit abgeklärter ehrenamtlicher Hilfestellung und so.
Umzug nach Düsseldorf. M. hat angeblich Arbeit gefunden und eine Wohnung. Ich habe heute die neue Adresse heute gegugelt, sie ist in der Nähe des Bahnhofs an einer vierspurigen Straße, kein Baum weit und breit. Ich bin so wütend und unglücklich, dass ich Esra in ihrem viel größeren Unglück alleingelassen habe. ich konnte nicht da hin. Andere Leute haben den Strom abgemeldet, das Internet und so weiter. Heute habe ich mir endlich ein Herz gefasst und bin hingefahren, wir haben bisschen geheult zusammen und sie hat gesagt, es sei für sie fast so schlimm wie aus Syrien weg zu gehen. Das hat natürlich alles nur noch oller gemacht.
Ich kann M. nicht in die Augen schauen. Ich muss mich zusammenreißen, ihn nicht zu ohrfeigen, bin ich doch sicher, dass er Unglück über seine Familie bringt. Aber vielleicht ja auch nicht. Vielleicht wird alles gut. Gerät der pubertierende Sohn nicht auf Abwege, vielleicht leben sich die beiden Mädchen, die die Tiere so lieben und den Wald, rasch ein an der vierspurigen Straße am Hauptbahnhof von Düsseldorf. Kann ja sein. Ach Scheisse.
Ich säh Blumen.
Er
Ist immer das Gleiche. Ich will über etwas Wichtiges schreiben, und vor lauter Ehrfurcht vor der Wichtigkeit blockiert alles.
In diesem Fall voll ok, denn es scheint ein Sturm im Wasserglas gewesen zu sein.
M. hatte einen syrischen Freund in F. besucht. Wieder zu hause, befahl er seiner Familie einen baldigen Umzug, denn in F., einer Großstadt in der Mitte Deutschlands gebe es sicher Arbeit für ihn.
Esra übersetzt wie verrückt bei den neu ankommenden Flüchtlingen. Sie liebt ihren Sprachkurs (29 von 30 Punkten), sie liebt es zu lernen, ihre inzwischen zahlreichen deutschen Freunde, das Leben auf dem Dorf, wo man sich kennt und hilft. Und ja, sie wird zurückgeliebt. Sie erklärt den Neuen, wie wir in Deutschland leben, dass wir den Müll trennen, zweimal Mal am Tag die Zähne putzen und keine Wäsche aus dem Fenster hängen. Ich hab mich fast an meinem Börek verschluckt, als sie mir das erläutert hat. Sie ist im Kindergartenelternbeirat.
Ibrahim will in diesem Jahr Hänsele werden, auch die Mädchen freuen sich doll auf die Fasnacht. Er hat vorraussichtlich eine Lehrstelle nach der Schule.
Die mittlere spielt Fussball und Flöte mit flammender Begeisterung. Den Unterricht müssen sie nur anteilig bezahlen, denn Esra schneidet dem Musiklehrer die Haare. Sie liebt die Schule, ihre Lehrerin und ihre Freundinnen. Die Bücher. Den Wald. Und den Trotzki (diese Liebe ist allerdings bisschen einseitig).
Die Kleine fängt langsam an zu sprechen. Hat weniger Alpträume. Geht ab Februar ins Ballett. Und lächelt endlich.
Alle vier wollen absolut nicht weg. Aus ihrer schönen Wohnung. Von der Schule. Sport. Freunden. Vier Länder in fünf Jahren. Das erste Mal länger als ein Jahr an einem Ort. Das erste Mal angekommen.
Einigen der Beteiligten ist klar, worum es eigentlich geht. M. hat hier niemand. Quält sich im Sprachkurs, hat Mühe Deutsch zu lernen. In F. muss er das nicht, da sprechen um ihn rum alle arabisch. M. ist einsam und unglücklich, weil er nicht seine Familie ernährt, und bestimmt auch in seinem Stolz gekränkt. Ich kann ihn ein bisschen verstehen, jeden Tag sieht er mit an, wie souverän sich seine Frau hier bewegt. Wie leicht sie sich tut, wie sie ihn schon lange überholt und wohl auch zurückgelassen hat.
Kein Grund, die gesamte Familie rauszureissen. Noch hat er weder Arbeit noch Wohnung in F. Ich hab zu Esra gesagt, lass ihn gehen, probieren, und wenn er alles geregelt hat, kommt ihr nach. Zwischen den vielen Tränen hat sie ein bisschen gelächelt, denn wir wissen: Das wird nix. Trotzdem.
Wie es scheint, ist der Plan erst mal vom Tisch. Es bleibt aber aufregend.
Puh und das hat mich jetzt eine ganze Woche beschäftigt.
Jones
Ich hatte angenommen, David Bowie würde mir alleine gehören.
Ich sehe nun ein, das war ein Irrtum.
Siracusa
Auf einmal bemerkte ich, wie sich drei Gestalten in gemusterten Gewändern an den Instrumenten zu schaffen machten. Eine Frau, zwei Männer, einer davon schwarz, aha, dachte ich, der ist sicher aus dem Sudan. Natürlich waren das islamistische Terroristen, das war mir sogleich sonnenklar. Ich erhob mich von meinem Platz, drängelte mich durch die Reihen bis nach vorne und zog den Zündschlüssel ab. Ein Zündschlüssel für einen Düsenflieger. Damit war die Tür entsichert, ich öffnete sie, sprang auf die Landebahn und rannte. Es kam mir überhaupt nicht in den Sinn, die anderen zu retten, nur meinen eigenen Arsch. Erst hinterher, beim Verhör bei der Polizei war ich erschüttert darüber, dass ich die beste Freundin in diesem Flugzeug einfach so zurückgelassen hatte.
Es sieht tatsächlich ein bisschen so aus, als würde ich mit einem mir ziemlich fremden Mann im Mai für eine Woche nach Sizilien reisen. Er behauptet, er könne sich gut vorstellen, im Rahmen eines Vulkanausbruchs gemeinsam mit mir unter einer sieben Meter dicken Schlammlawine begraben zu sein. Wenn das mal nicht vielversprechend ist.
Ach, und mein Silvesterglückskeks übrigen so:
Someone will give you the good things of life.
Palermo
Welcome
Und dann frage ich mich, ob mein Beitrag genug ist, weil Esra beim Arzt sagt meine Freundin versteht und hilft mir und stolz auf mich zeigt und weil mich nach dem Urlaub die Kinder umarmen und zwitschern und am liebsten die Sandalen tragen, die ich ihnen mal geschenkt habe.
Weil ich vor keinem Amt helfe, an keinem Bahnhof stehe, weil ich nicht mit einem Boot über das Mittelmeer kreuze. Weil hier nichts genug ist. Und ich nicht darüber schreiben kann. Keine Worte für das.
Aber mir geht das Herz auf. Ich bin gerne Freundin. Und stolz, weil sie in Windeseile Deutsch lernen. Und weil sie wunderbar mit ihren Kindern sind. Und neugierig. Und freundlich.
Weil ich sie so sehr mag. Ein Glück.
Mit und ohne Kopf
Ich denke, ich werde dem jungen Mann Schautafeln mit Abbildungen erstellen.
Anders wird das ja nix. Jeden Morgen gibt es neue Opfer.
Da steht dann:
KEINE VÖGEL FANGEN!
Falls doch, bitte Kohl-, notfalls Blaumeisen, keinesfalls Kleiber, Rotkehlechen, Hauben-, Schwanz, Wald- oder Sumpfmeisen, Zaunkönige, Goldammern, Dompfaffen, Kernbeisser oder Amseln. Drosseln, Finken, Stare usw. Feldlerchen. Krähen. Raben. Eichelhäher. Rotmilane. Fischreiher. Adler.
Falls es doch passiert, bitte wenigstens ganz essen und nicht nur den Kopp abbeissen und den Rest unter der Küchenbank liegen lassen. Es sollte aber nicht passieren.
Gleichfalls:
Bitte nur Wühl- und Hausmäuse, keine Feld-, Hasel-, Wald- und Spitzmäuse. Keine Bilche, Maulwürfe, Eichhörnchen und Siebenschläfer. Feldhamster.
Keine Fledermäuse. Blindschleichen. Eidechsen. Frösche, Kröten, Unken und Molche.
VERDAMMT NOCHMAL!
Als ich vorgestern das kleinste meiner funkelnagelneuen Kinder in den Kiga gebracht habe sagt die Kindergärtnerin zu mir:
Ach, kennen wir uns nich?
Ja, ich hab ne Weile mit Deinem Mann geschlafen. Aber das war vor der Hochzeit. Also so gut wie.
Hab ich dann doch nicht gesagt, wär ja ein blöder Anfang gewesen.
Muss da ja nun öfter hin.
Der F. hat in einem handschriftlichen Brief mitgeteilt, dass er im April Vater einer Tochter wird. Der Brief war sehr nett. Ich habe das jetzt eine Weile geübt und nun schreibe ich es hierhin: Ich habe diesen Mann irrsinnig geliebt. Er hat mich sehr verletzt und sich unzählige Male dafür entschuldigt. Ich denke, ich kann das demnächst mal gut sein lassen. Zurückschreiben will ich trotzdem nicht. Seit Jahren habe ich mir diesen Moment ausgemalt. Und jetzt: Ja. Sehr eigenartig. Aber nicht so schlimm.
Insgesamt: Schwere Zeiten. Um mich herum wird viel verrückt geworden. Ich vergrab die Hand in Trotzkis Fell. Irgendwann kommt die Sonne wieder raus.
Kurznachrichten
Zweijahreundsiebenmonate. Und wann kann ich endlich aufhören, nachzutragen, verletzt und gekränkt zu sein? Es ist schon lange nicht mehr der Verlust der Person, es ist der Verrat. Den ich als so unvorstellbar und gewaltig empfunden habe und empfinde. Wie hat der Mek neulich wieder so wahr geschrieben: „… Treue bedeutete für mich immer eher sowas wie Loyalität, nicht die körperliche Loyalität, sondern das Helfen, dass man zueinander steht.“. Die Wohnzimmerszene ist mir ewig präsent: Nicht mehr mich liebe er nun, sondern sie. Da könne er keine Rücksicht auf mich nehmen. Ja, das habe ich bald gemerkt. Ich kann mich nicht erinnern, dass jemand mal vergleichbar brutal zu mir war. Nicht einmal der Kommunist.
Aber er hat sich entschuldigt. Und er bemüht sich. Immer wieder und immer noch. Und ich kann nicht verzeihen. Obwohl ich fühle, dass mich das vergiftet. Und ich mir wünschte, ich hätte diesen Teil in mir, der voll ist mit Wut, Aggression und Beleidigtsein endlich wieder frei für andere Dinge.
Ich könnte ihn anlächeln und sagen Ich wünsche Dir alles Gute. Frei.